Galerie Hubert Winter

Das Fortleben der Kunst
Arthur C. Danto — Princeton University Press. 1997

Der eminente amerikanische Kunstphilosoph Arthur C. Danto schrieb in seinem Buch Das Fortleben der Kunst (After the End of Art, Princeton University Press, 1997), basierend auf seiner Vorlesungsreihe Mellon Lectures in Fine Art, Washington, National Gallery im IX. Kapitel Das historische Museum der monochromen Malerei Folgendes:
Wie sich herausstellte, hatte ich zeitgenössische monochrome Malerei vollkommen außer acht gelassen, als ich Die Verklärung des Gewöhnlichen schrieb, und betrachtete sie, vielleicht weil sie mir als Möglichkeit zuerst im Zusammenhang mit Kierkegaard aufgefallen war, immer noch als Anlaß zu vagen philosophischen Witzeleien. (Anmerkung: er bezieht sich auf einen Witz Kierkegaard´s ein einfarbiges rotes Bild betreffend). Nicht lange nach Erscheinen des Buches begegnete ich jedoch Marcia Hafif auf einem Fest, wo sie sich mir als monochrome Malerin vorstellte. Sie erwies sich dann sogar als Kopf einer ganzen Schule von Monochromisten, mit denen sie mich auf einer Party bekanntmachte, die sie später zu meinen Ehren in ihrem Loft gab. Von ihnen, und ganz besonders von Marcia Hafif, lernte ich eine ganze Menge über die monochrome Malerei - über die künstlerischen Möglichkeiten einer Kunstform, die ich als schlichtes rotes Quadrat abgetan hatte. Das schlichte rote Quadrat leistete mir einen außergewöhnlichen philosophischen Dienst, doch ich bin fest davon überzeugt, daß erst die Erkenntnis der Unterschiede zwischen äußerlich ähnlichen roten Quadraten, die ich Marcia und ihren Mitarbeitern verdanke, mir den Weg in die Kunstkritik gebahnt hat.
Im Folgenden etwas längere Ausführungen über Hafifs "Chinese Red 33 x 33", das in ihren Worten "ein Bild von Hunderten derselben Künstlerin ist, ein Bild von Tausenden von Hunderten anderer Künstler. Wie ist dieses flach gemalte rote Quadrat zu verstehen? Warum ist es mit Haushaltsemaille gemalt? Und warum auf Holz, warum auf Sperrholz?"
"Zum einen fungiert das Bild als es selbst. Es ist rot, quadratisch und von mäßiger Größe. Es befindet sich praktisch auf Augenhöhe an einer Wand mit genügend Freiraum um es herum, um als Gestalt vor dem Hintergrund der Wand zu erscheinen. Es hat einen Titel: der handelsübliche Name der Farbe, mit der es ausgeführt worden ist. Der Betrachter reagiert auf das Bild wie auf ein beliebiges anderes Ding auf der Welt. Er sieht es und reagiert stillschweigend auf seine Größe und Form, auf die glänzende rote Oberfläche und die rohen Sperrholzkanten, auf die Entfernung zwischen Ding und Wand. Erst dann schaltet sich das Denken ein und fragt: was ist das?
Das Objekt ist an die Wand angebracht wie ein Bild. Es ist sogar gemalt, es ist ein Bild. Welche Art von Bezug stellt es als Bild her?
Inzwischen hat die Brechung seiner Bedeutungen eine Vielfalt von Bezügen erzeugt: wir sehen es in dem für ein Gemälde reservierten privilegierten Raum, die hölzerne Stütze stammt aus der Renaissance ... die Bastleremaille kommt aus dem täglichen Leben, der nüchterne Farbauftrag mit einem Anstreicherpinsel wäre ebensogut bei einem Tisch angebracht, das Sperrholz ist äußerst gewöhnlich und keineswegs wertvoll, die einfarbige Oberfläche gehört der Tradition monochromer Malerei an, die Quadratform ist neutral und modern, die Größe ist auf den Menschen bezogen, nämlich weder groß noch klein, das einzelne Bild ist eine Stichprobe aus dem Werk der Künstlerin. (18)"
Daß seine Ausführung der eines angemalten Tisches entspricht, ist ein künstlerisch bedeutendes Faktum in bezug auf dieses einfarbige Bild: Es weist nämlich keine Pinselspuren auf wie andere Monochrombilder, sondern es ist "ordentlich" und sauber. Außerdem ist es nicht mit Temperafarben ausgeführt, wie ein Bild auf Holz es in der Renaissance gewesen wäre, sondern mit im Handel erhältlicher Emaille. "Zinnoberrot" ist eine Bezeichnung aus dem Malerbedarf, die der so bezeichneten Farbe eine bestimmte Aussage zuschreibt. Auf wie viele rote quadratische Bilder mag all dies wohl zutreffen? Das Auge kann uns darüber erst Aufschluß geben, wenn "sich das Denken einschaltet und fragt". Die Informationen, die für ein Verständnis und für die Ästhetik des Bildes unverzichtbar sind, sind durch und durch historisch. Meiner Ansicht nach ist es überhaupt nicht möglich, ästhetische und historische Kritik zu trennen, wie Eliot es tut. Sobald sie jedoch zusammengebracht worden sind, brechen die Prämissen der Stilmatrix zusammen. Hegel spricht in einer Kritik an der Philosophie Schellings von einem gewissen "einfarbigen Formalismus" in bezug auf die Idee des Absoluten (und hier haben wir einschönes Beispiel für einen Monochromen Witz): "wie die Nacht, worin, wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind."(19) Unter den Auspizien der Stilmatrix sind alle roten Quadrate gleich. Nur durch eine Historisierung geben sie ihre ästhetischen Differenzen preis."
Die Geschichte der monochromen Malerei, in der Kazimir Malewitsch, Alexander Rodschenko, Yves Klein, Mark Rothko, Ad Reinhardt, Ad Reinhardt, Robert Rauschenberg und Stephen Prina jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist, steht noch aus; darin müßte auch die Monochromistengruppe um Marcia Hafif als chef d'école ein stattliches Kapitel bilden, an das sich eines über die Monochromisten in Philadelphia anschlösse. Robert Ryman verdient selbstverständlich ein eigens Kapitel. Das Interessante an seinen Arbeiten ist, wie sehr diese trotz ihrer blanken Weißheit die Zeiten widerspiegeln, die der Künstler durchlebt hat. So verraten die Arbeiten aus den fünfziger Jahren die Farbphilosophie der Abstrakten Expressionisten: Der Künstler ist Farbe und Leinwand gegenüber ungeheuer aufgeschlossen, und die Formen werden in geradezu köstlicher Weise wie Zuckerguß auf einen Kuchen aufgebracht. Dem Konditoreigeist dieser Arbeiten entsprechend sind die Signaturen groß und feierlich und sogar die Datumsangaben so auffällig wie auf einer Geburtstagstorte. In den sechziger Jahren wird Ryman zum Minimalisten und in gewisser Hinsicht zum Materialisten: Die Bilder werden Oberfläche, Untergrund und Farbe und sonst nichts. In den achtzigern und bis in die neunziger Jahre hinein internalisiert sein Werk den Pluralismus unserer Zeit; es beginnt bildhauerische Elemente miteinzubeziehen - Stahlbolzen, Aluminiumnieten, Kunststoff, Wachspapier und dergleichen. Doch durch all diese Veränderungen hindurch behält das Werk wie Candide die weiße Schlichtheit seiner Seele. Es ist eine Allegorie der Standhaftigkeit und der Anpassung.
Hafif schreibt über „Chinese Red 33 x 33“, es „findet in einem Strom von hunderten von Bildern statt und existiert für sich selbst allein sowie auch im Kontext mit den übrigen Arbeiten.“ Das gleiche gilt für Rymans Werk, ja für wohl alle Werke. Eine Arbeit bezieht ihr Bedeutung aus den Arbeiten, in deren Kontext sie gestellt wird, und das verdeutlicht wiederum, wie sehr die Stellung der Malerei heute an der Ausstellung festgemacht ist, die für jenen Zusammenhang sorgt, innerhalb dessen allein das Bild zu sehen und zu beurteilen ist. Energie und Bedeutung, die das Bild seiner Platzierung verdankt, sind nicht gänzlich auf die Wahrnehmung beschränkt. Doch die Kritik, der die Stilmatrix hier ausgesetzt wird, entspricht den Bemühen, aufzuzeigen, wie sehr unsere ästhetische Anteilnahme an Kunstwerken nicht objektiven (wie man sie mit Malewitsch vorsichtig nennen könnte) oder zumindest nicht perzeptuellen Faktoren folgt. Wie nicht anders zu erwarten, wenn „das Denken sich einschaltet und fragt“.“

Anmerkungen:
18) Eine erhellende Erörterung der Unterscheidung findet sich in Willard Van Orman Quine, Methods of Logic (New York: Henry Holt, 1950), S 37f.
19) Alle Verweise hierin beziehen sich auf „Painting by the Numbers: The Search for a People´s Art“, The Nation (14.März 1994). Die Datentabellen werden wiedergegeben in American Public Attitudes Towards the Visual Arts: Summary Report and Tabular Reports, erstellt von Martila and Kiley Inc. Für The Nation Institute und Komar und Melamid, 1994.