Galerie Hubert Winter

IMPEDED TIME
Suzy M. Halajian & Marlies Wirth — Galerie Hubert Winter, Wien. 2012

Betrachtet man die Frage, wie sich Kunst und Leben zueinander verhalten vor dem Hintergrund von Weiners Arbeit wird offenbar, was er selbst in seiner Referenz zu Wittgenstein zitiert: „Ein Ausdruck hat nur im Strome des Lebens Bedeutung“. Die wechselseitige Verknüpfung von Kunst und Leben ist in die Arbeit Lawrence Weiners eingeschrieben. Seinen Skulpturen begegnen wir, oft unerwartet, auch außerhalb von Galerien und Museen, im öffentlichen Raum, an den Orten, wo das Leben und die Kunst aufeinandertreffen. In seinen Statements zeigt er, immer anspruchsvoll, aber nie belehrend, Fragestellungen auf, die wir selbst anhand unserer Erfahrungen und unserer eigenen Wahrnehmung von Arbeit, Kultur und Lebenswelt interpretieren können; er bietet Möglichkeiten an, nicht Meinungen. Die Bedeutung bleibt immer im Fluss; sie wird niemals statisch oder eindimensional, sondern eröffnet zu jeder Zeit neue Wege die materielle Realität und die aktuelle soziale und politische Umgebung zu begreifen und zu hinterfragen.

Weiner lebt seine Kunst und erlaubt zugleich den BetrachterInnen, seine Arbeit zu beleben; die Sprache ist sein Material, und gleichermaßen ist es das Leben. Seine Arbeiten tragen eine selbstverliehene Ambiguität in sich und setzen sich einer endgültigen Bestimmtheit entgegen, indem sie einen subjektiven Zugang zu ihrer Bedeutung, ihren jeweiligen Referenzen und zu dem Umfeld schaffen, in dem sie wahrgenommen werden. Durch die Temporalität der Sprache, und in ihren wechselnden Erscheinungsformen, rekontextualisiert sich auch die Zeit: Sie eröffnet denen, die schauen und wahrnehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Zugangsweisen und Blickwinkel; in ihrer poetischen Aktualität wird Weiners Sprache immer wieder gegenwärtig und macht uns den Aspekt der Zeitlichkeit seines Konzepts und des Lebens an sich bewusst.

IMPEDED TIME (Die Zeit, die stillsteht) ist nicht nur der Titel von Weiners Ausstellung sondern zugleich die erste Arbeit, die das Eintreten in die Galerie begleitet; eine subtile Aufforderung, die eigene Echtzeit bewusst zu verlangsamen und sich auf die Essenz der Dinge, die Essenz der Sprache, einzulassen, die Weiner im Raum ausbreitet. Zeit scheint die wesentliche Zutat in Weiners multidimensionaler Rezeptur zu sein, die der Frage nach dem Wert der Dinge und ihrer symbolischen Signifikanz auf der Spur ist.

In drei Skulpturen SCHWARZES ÖL/WEISSEM SAND, WEISSER ZUCKER/WEISSEM SALZ, BRAUNER LEHM/ROTEM TON benennt Weiner unterschiedliche Materialien, die potenziell miteinander vermischt werden. Der Vorgang ist noch nicht abgeschlossen, PENDING RESOLVE – die Lösung ist unbestimmt. Durch die exakte Benennung der Materialien – in deutscher und englischer Sprache – übersetzen sich die Texte in ihre realen Signifikationen, in Bilder und Assoziationen. Sie repräsentieren Materialien unterschiedlicher Konsistenz, natürlich vorkommende Stoffe oder industriell erzeugte Güter, ubiquitäre Substanzen des Lebens, Urstoff, Baustoff oder das Material zeitgenössischer Kunstproduktion. Sie alle stehen für Rohstoffe, die an spezifische Wertvorstellungen und damit an größere wirtschaftliche Erwägungen und das zweifellos vorhandene Ungleichgewicht innerhalb unserer Kultur geknüpft sind.

Cat. #1067 (2012)

Die Sprache und das Material sind gleichermaßen Bedeutungsträger. Durch die Bezeichnung des Materials wird unmittelbar der Prozess einer faktischen Wertzuweisung in Gang gesetzt, wobei die jeweiligen Wertigkeiten der Materialien durch ihre Beziehungen zueinander definiert werden. Dementsprechend verweisen sie auf das grundsätzliche Anliegen, den symbolischen und reellen Wert handelbarer Waren innerhalb einer Gesellschaft zu definieren. Sie evozieren Sinnzusammenhänge wie Privileg und Zugang, Wohlstand, Armut und Prekarität, denen eines gemeinsam ist: es bedarf einer Lösung (RESOLVE) – und diese steht aus. Die Abfrage möglicher Resultate, und wie diese mit den wirtschaftlichen Strukturen der gegenwärtigen Gesellschaft verwoben sind, bleibt den BetrachterInnen überlassen. Obwohl der Ausgang – dem Anschein nach – offen ist, besteht kein Zweifel darüber, dass eine tatsächliche Vermischung der einzelnen Elemente unweigerlich eine Verlagerung ihres jeweils zugewiesenen Werts mit sich bringen würde – um nicht zu sagen die vollkommene Aufhebung von Wert. Die Zeit, die beim Eintreten ohne vorbestimmten Endpunkt angehalten wurde, steht immer noch still; die Situation bleibt ungeklärt und beunruhigend.

Die letzte Arbeit in der Ausstellung führt eindringlich die Temporalität der Sprache, der Dinge und des Seins vor Augen. Sie trägt die Poetik der ephemeren Existenz und damit auch etwas Tröstliches in sich: SANFT ZERMAHLENE STEINE WIEDER & WIEDER BIS STEIN WIE SAND & FORTGESCHWEMMT ALLES ZU SEINER ZEIT. Alles ist eine Frage der Zeit. Die Zeit allein wird zeigen, welches Ergebnis, welche Essenz und welcher Wert am Ende bleibt.

Cat. #1072 (2012)