Galerie Hubert Winter

Electro-Doméstica
Gabriele Schor im Gespräch mit Laura Ribero — In: HELD TOGETHER WITH WATER. Kunst aus der Sammlung Verbund, Ostfildern, Hatje Cantz. 2007

Laura Ribero spricht in diesem Interview über ihr Kunststudium in Kolumbien und ihr frühes Interesse an Fotografie, welches von den Becher-Schülern inspiriert war. Entscheidend für ihre weitere Entwicklung waren die Aufenthalte in Berlin und Barcelona. Über die Foto-Serie 'Electro-doméstica' erklärt sie die Bedeutung ihrer Selbstinszenierung in den Studio-Sets lateinamerikanischer Telenovelas.

- Sie haben an der Kunsthochschule in Bogotá studiert. Wie ist ein Kunststudium in Kolumbien aufgebaut?
Das Studium der Kunst dauerte vier Jahre - ich wählte Fotografie und alternative Medien. Mich hat hauptsächlich die Fotografie von den 1950er Jahren bis zur Gegenwart begeistert - vor allem Jeff Wall und Cindy Sherman hatten es mir angetan. Später wechselte ich nach Barcelona. Der Lehrplan dort war sehr breit gefächert, mit Kulturgeschichte, Soziologie und Theorie der Fotografie - das war genau, was ich gesucht hatte. Vor allem die Theorie der Nicht-Orte von Marc Augé hat mich sehr fasziniert.

- Gibt es außer den beiden genannten Künstlern noch andere, die Ihr Werk geprägt haben?
Mir gefällt vor allem die deutsche Fotografie, die Becher-Schüler. Das war auch der Grund, warum ich 2004 nach Essen gegangen bin.

- Ihre Diplomarbeit ist eine Dokumentation verlassener, heruntergekommener Stadtviertel in Barcelona, also auch von Nicht-Orten.
Ja, die Arbeit hat mit verlassenen Plätzen zu tun bzw. auch mit Durchgangszonen, mit Niemandsland. Die Architektur in Barcelona ist wunderschön, sogar spektakulär, aber zwischen den einzelnen Stadtvierteln gibt es immer wieder kleine 'Piratenprojekte', dort wo arme Emigranten wild bauen. Diese ungeplanten Strukturen wollte ich dokumentieren. Was ich später in Essen vorfand war teilweise sehr ähnlich: verlassene, leerstehende Häuser mit verbarrikadierten Türen und Fenstern, einsam, aber auch magisch.

- In 'electro-doméstica' haben Sie sich selbst in die Bilder eingebracht. Wie hat sich dieser Schritt von der reinen Architekturfotografie hin zur Selbstdarstellung vollzogen?
'Electro-doméstica' erinnert doch an Malerei, an klassische Porträtmalerei, oder? Die Interieurs von Vermeer haben da sicher einen großen Einfluss ausgeübt. Ich wollte diese Stimmungen mit dem Medium der Fotografie erzeugen. Diese Bilder sind vieldeutig: Auf der einen Seite sind sie in einem Fernsehstudio entstanden, die dortigen Kulissen nutzend; diese Kulissen, aber auch mein Kostüm, sind Filmsets einer lateinamerikanischen Telenovela, diese für den ganzen spanischen Sprachraum wichtigen Endlos-Seifenopern. Auf der anderen Seite wollte ich mit der Grenze zwischen Realität und Fiktion spielen. Auf den ersten Blick schauen diese Bilder wie Alltagsszenen eines südamerikanischen Oberschichthaushalt s aus, wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass es inszeniert , also Fiktion ist. Die von mir dargestellte Haushälterin ist fixer Bestandteil jeder dieser Seifenopern. Sie ist immer das arme, aber gute Mädchen im Haushalt der Reichen. Sie weiß, dass das Haus nicht ihr gehört, aber träumt heimlich von einer besseren Zukunft und dass sie von einem Prinzen erlöst wird. Das gilt auch für Lateinamerika. Wir träumen von einer besseren Zukunft außerhalb. Was fern ist, Amerika oder Europa, ist für uns besser. In romantischer Weise hoffen wir, dass irgendwann einmal alles besser wird.

- Wer machte die Fotos dieser Serie, wer drückte auf den Auslöser?
Ich selbst - mit Selbstauslöser. Ein paar Mal hat mir auch eine Freundin geholfen. Ich hatte ein Jahr lang Zugang zu diesem Filmstudio, konnte mit den Scheinwerfern experimentieren und viele Fotos machen. Es war ein riesiges Studio am Stadtrand von Barcelona mit 50 verschiedenen Sets nur für diese eine Seifenoper! Ich habe die Telenovelas meiner Jugend intensiv studiert - die Melancholie des Hausmädchens stammt aus diesen Seifenopern.

- Ist es übertrieben zu sagen, dass ihre Biographie Parallelen zu diesem Mädchen hat? Auch sie sind 'fremd' in ihrem 'eigenen' Haus. In Barcelona sind sie eine Ausländerin. Nach Beendigung ihres Studiums verlieren sie ihre Aufenthaltsgenehmigung und müssen nach Kolumbien zurück.
Als ich diese Fotoserie machte, war ich neu in Barcelona und musste nebenbei als Kellnerin arbeiten, um mir mein Studium zu finanzieren. So ergeht es vielen Studentinnen aus Lateinamerika in Spanien. Um etwas Höheres, ein Ideal, zu erreichen, muss man oft durch etwas Unangenehmes hindurch. Ja, so gesehen hat dieses Stubenmädchen tatsächlich mit meiner eigenen Situation zu tun. Aber es ist vielmehr eine Arbeit über das Leben vieler Menschen. Ein autobiografisches Werk würde mich nicht interessieren.

- Sehen sie auch eine religiöse Dimension in den Bildern? Teilweise sehen sie wie eine Madonna aus.
(Lacht). Warum eigentlich nicht? Madre dolorosa.

- In vielen ihrer Bildern tauchen Spiegelungen auf. Wie bewusst ist das eingesetzt?
Reflexionen und Spiegelungen sind tatsächlich wichtig für mich. Hier dient die glatte Oberfläche eines Kühlschranks als Spiegel. Es ist doch traurig, sich in einem Kühlschrank zu spiegeln, oder? Die kalte Welt als Spiegel einer einsamen Existenz.

- Wie soll man den Titel 'electro-doméstica' verstehen?
'Doméstica' ist das Hausmädchen und 'Electro', weil sie in den Küchen der reichen Familien von so vielen elektrischen Geräten umgeben ist.

Das Interview fand am 4. Mai 2006 in Wien statt.
(Übersetzung aus dem Spanischen von Stefan Kutzenberger)
Seiten 182-187