Galerie Hubert Winter

Vanitas oder die Masken einer schöpf­erischen Entfaltung
Claudia Weinzierl — aus EIKON 2011 Nr. 73 S. 32-36. 2011

Tritt man der neuesten Fotoserie “Vanitas” der kolumbianischen, in Barcelona lebenden Künstlerin Laura Ribero gegenüber, erfasst einen geradezu augenblicklich ein Gefühl vollkommener Erstarrung, dass einem das Herz erschrickt. Vordergründig ist damit eines der bekanntesten Kunstmotive des 16. Und 17. Jahrhunderts, das der Eitelkeit des Menschen einen Spiegel vorhält und ihn an seine Vergänglichkeit und Nichtigkeit gemahnt, in vollendeter Mimesis neu in Szene gesetzt. Dieser Eindruck wird auch noch durch motivische Details bewusst gelenkt, ebenso wie durch die Figur der schönen Frau in einer barocken, luxuriös-musealen Szenerie, die aller Einwohnungsspuren entbehrt – auf den ersten Blick scheint auch die Frau bar jeder Lebensspur -, aber eben dies alles scheint nur so.

Und auch dies spielt mit einem Aspekt der Vanitas: die sogenannte mise en abyme – ein Bild, das sich selbst enthält, eine einfache bis ins Unendliche fortgesetzte Spiegelung, Bei Laura Ribero erscheint diese Spiegelung schon ab dem fotografischen Moment fototechnisch sich selbst auslösend als selbst reflexive Spiegelung bis in die räumlichen Motive hinein, wobei sie selbst sich immer mehr objektiviert, d.h. sich unterwirft, indem sie des Subjekts Wortsinn erfüllt und den Dingen gleich- bzw. Gegnübergestellt oder beinahe in ihnen verschwindend (wie in den Fotoserien “Monasterium” oder “The Queen”) eine buchstäbliche Wichtigkeit durch eigene Nichtigkeit verleiht. Ob dies Kritik an den herrschenden Verhältnissen ist, in denen wir uns der Verdinglichung der Welt durch Konsum und Veräußerlichung ausliefern, selbst dabei immer mehr “Ding” werdend, oder ob dies eine medientheoretische Arabeske ist, bleibt in der Schwebe.

Die sich aufdrängende Frage, welches Selbst sich hier seriell reflektiert, indem es sich zwar in Szene setzt, aber eigentlich als festgelegte Identität absent ist, bleibt offen. Es erinnert an die im Fin de siécle virulent gewordene “Ich-Krise”, die sich seitdem in einen unaufhörlichen Wahrnehmungsstrom künstlerischer bis künstlicher potentieller Ich-Konzeptionen in den verschiedenen Medien vervielfältigt. Insofern steht Laura Ribero in einer modern-künstlerischen Tradition, weist aber bereits über deren Ränder hinaus, indem sie das “Ich” als “Maskeraden des inneren Auslandes” (Franz Kafka) auftreten lässt – und die Frage nach Identität sowohl nach innen als auch nach außen spiegelt. Was sie durch eigene “äußere” Lebenserfahrung als verschiedenen Kulturen Einwohnende erfährt, setzt sie geistesgegenwärtig und poetisch in das Verhältnis zu der politisch so virulenten “Fremdenproblematik”. Indem sie sich selbst gleichzeitig als Figur einsetzt und als kontingentes Ich aussetzt, tritt sie in Verhältnisse mit sich selbst und dem/n Anderen, die ständige Durchdringung des Miteinander-Seins bis in aktuelle medien-philosophische Ansätze hinein reflektierend: “Ein Verhältnis zu sich, als ich anders war.” Das ist die gesuchte Formel. Ein Verhältnis bzw. Verhältnisse zu sich als den vielen Anderen zu haben stellt die einfache Bedingung des sozialen, aber auch in besonderer Weise des kulturellen Lebens dar. Die Gewesenheiten stehen in Resonanz mit ihren Wesenheiten. Mein Gewesen-sein ist genau das, “eine Andere/ein Anderer sein”. Die Anderen, die mit mir kontemporär sind, vertreten mich selbst in meinen Andersheit-Anteilen (share-holders). (1)
Dass es Laura Ribero gelingt, diese Theoreme einer gegenwärtigen Medienphilosophie geradezu fugenlos ins Bild zu setzen, zeugt von einer perfekten intelligiblen wie technologischen Strategie, die bewusst enigmatisch eine scheinbare Offenbarung zeigt. Dies wandert als quasi ikonographisches Motiv durch das Werk der jungen Künstlerin und hat sich in der jüngsten Serie in einer Art verdichtet, die an den Zustand der Verpuppung erinnert – an den perfekten, d.h. abgeschlossenen Moment einer Entwicklung. Es ist dieser jungen Künstlerin zuzutrauen, nein, man spurt es förmlich, dass sich aus diesen “Gewesenheiten”, aus dieser Verpuppung etwas Unerwartetes, Neues wesentlich anderes entpuppt.
Es ist geradezu ein Ereignis vorauszusehen, ein Bersten der Hülle, aus der sich eine Fülle lebendiger Möglichkeiten ergießt. Es scheint, als wollte etwas hervortreten, worin sich ein freudiges Innewerden des nomadischen Selbst als Potenz ins Spiel bringt. Ein Umzug ins Offene – in beflügelte und beflügelnde Raumgemeinschaften. Wenn nicht alles täuscht, scheint ein feines, fast unsichtbares Lächeln auf den letzten Bildern darauf hinzudeuten…

(1) Elisabeth von Samsonow, Egon Schiele. Ich bin die Vielen, Wien 2010, S 23.