Galerie Hubert Winter

Aspekte des Selbst
Verena Kaspar-Eisert — In: Judith Fegerl SELF. Katalog Kunstraum Niederösterreich. 2010

zu Judith Fegerls raumgreifender Installation SELF im Kunstraum Niederoesterreich, Wien, 2010

Es geht um Abgrenzung und darum, eine Einzigartigkeit hervorzuheben. Das englische Wort self und die deutsche Entsprechung selbst werden verwendet, um ein Subjekt von anderen zu unterscheiden. Das setzt ein Selbstbewusstsein voraus. Dieses Bewusstsein hinterfragt Fegerls Arbeit im Kunstraum Niederoesterreich und ermöglicht es gerade dadurch, neue Formen des Selbstverständnisses zu entwickeln. In SELF kommen drei Größen in Berührung und Austausch. Der Titel steht stellvertretend für diese Komponenten: für die Künstlerin – die sich selbst mit einer Soloshow exponiert; für den Raum – der in dieser Arbeit zum einzigen Ausstellungsstück wird; und für den/die Betrachter/in – der/die sich angesichts der vermeintlichen Leere im Raum auf sich selbst zurückgeworfen sieht (ehe er/sie erkennt, dass er/sie sich im Innersten der Arbeit befindet).Judith Fegerl widmet diese Schau dem Raum. Der Kunstraum Niederoesterreich steht dabei für alle Ausstellungshäuser, die ihre Arbeitenbereits beherbergt haben, und jene, die es noch tun werden. Den Raum als solches zu zeigen: Ihn zu befreien von allen architektonischen Einbauten, den Vorrichtungen, den nützlichen Anschlüssen und den Beleuchtungskörpern – ihn selbst zu zeigen – ist zentrales Interesse der Künstlerin bei dieser Arbeit. Judith Fegerl führt so ihr Werk der letzten Jahre konsequent fort und bringt ihre Arbeiten auf einen gemeinsamen Nenner. Sie zeigt deren zugrundeliegende kollektive Verbindung: die Abhängigkeit von der nährenden Elektrizität. Die Stromleitungen bilden als Netzwerk die Verbindungen zwischen ihren Werken. Mit SELF will die Künstlerin den Ausstellungsraum als eigenständigen Organismus verstanden wissen, welcher sich selbst behauptet – auch ohne angedockte Kunstwerke, wie es sie normalerweise zu versorgen gilt. Der Charakter des Raumes wird erfahrbar, wenn er von seiner Dienstleistungsfunktion für Kunstausstellungen entbunden ist. Der moderne Ausstellungsraum, der sogenannte White Cube, wird von Judith Fegerl entkleidet, indem sie ihn von seiner Funktion befreit und seinen rohen Körper herausarbeitet.Seit den späten 1970er Jahren haben Künstlerinnen und Künstler sichimmer wieder mit dem White Cube in Museen, Ausstellungshäusernund Galerien beschäftigt. Der White Cube wird seit den 1920er Jahrenüberwiegend als Idealsituation für die Präsentation von Kunst angesehen,um die architektonische Komponente möglichst wenig Einflussauf die gezeigten Werke nehmen zu lassen.1 Die investigativenMethoden der Künstler/innen, die sich mit diesem System auseinandersetzen,reichen von Aneignung bis zu ortsspezifischen Installationen,die Fragen über den Ausstellungsort selbst, die historischen Bedingungendes Ausstellens, der musealen Praxis an sich und der Rezeptionvon zeitgenössischer Kunst aufwerfen. So hat Chris Burden1986 (und 2008 ein weiteres Mal an genau derselben Stelle) im MOCA(Museum of Contemporary Art, Los Angeles) einen Teil des Bodensdes Museums ausbaggern lassen.2 Mittels dreier Treppen konnte der Besucher/die Besucherin dem Museum buchstäblich auf den Grundgehen. Mit dem Wort Foundation spielt Burden dabei gleichzeitigauf die architektonische Basis und die Stiftung als organisatorischen Hintergrund des Museums an. Monica Bonvicini setzt sich in ihremkünstlerischen Schaffen mit der physischen Erfahrung von Raum und Architektur auseinander und hinterfragt die Rezeptionsbedingungenvon zeitgenössischer Kunst. Für Plastered, eine Arbeit von 1998, hat sie einen Galerieboden mit Rigipsplatten ausgelegt. Krachend brachendie Besucher/innen in den Boden ein, zurück blieb ein Trümmerfeld,ein demolierter Ausstellungsraum. Christo hat bereits1969 das MCA (Museum of Contemporary Art Chicago) selbst zum Werk gemacht,indem er das ganze Haus verhüllte. Es verschwindet und wird mystifiziert,sein charakteristisches Profil wird durch eine verallgemeinerndeweiche Umrisslinie ersetzt, was die Illusion des Verstehens fördert.3,schreibt Brian O’Doherty. Judith Fegerl zeigt nun mit SELF den Ausstellungsraum als Energie liefernde Hülle für Kunstobjekte, die sich ihrer Bestimmung entzieht und selbst Werkstatus erhält. Die Auseinandersetzung und diese Art von Umgang mit dem Raum folgen der jahrelangen Beschäftigung von Judith Fegerl mit der Schnittstelle und der Überschneidung von Mensch und Maschine. Immer wieder arbeitet die Künstlerin mit Kombinationen aus anorganischem und organischem Material und schafft Konstruktionen höchster technischer Perfektion. Ihre Skulpturen, denen sie mittels Elektrizität Leben einhaucht, formt sie in einer auffallenden Materialästhetik. Das Stromnetz verknüpft die einzelnen Arbeiten und treibt sie an. Als Körper ohne Organe 4 entkleidet Fegerl den Kunstraum. SELF ist gedankliche Grundlage und Voraussetzung für alle ihre vorangegangenen Werke, die ihrerseits wieder Referenzen an physische und psychische Zustände des menschlichen Körpers sind.Im 2006 entstandenen Tension Object bringt Fegerl das Gefühl des Entsetzens, das mit der Phrase die Haare stehen einem zu Berge verbalisiert wird, auf eine visuelle Ebene und verbindet emotionale mit physikalischer Spannung: Durch menschliches Haar, das wie eine Perücke von einer weißen Keramik-Kugel hängt, fährt in regelmäßigen Intervallen ein Stromstoß mit 400.000 Volt, der die Haare nach allen Seiten stehen lässt. Das Interesse an der Übersetzung von Erfahrungswerten und Gefühlen in physikalische Maschinen widerspiegelt sich auch in Galatean Heritage (2007). Eine eigens konstruierte Strickmaschine produziert über Wochen hinweg autonom ein amorphes Objekt aus organischer Wolle. Der Name der Arbeit bezieht sich auf Ovids Pygmalion, der sich eine weibliche Gestalt aus Elfenbein modelliert, welche durch Aphrodites Zutun schließlich zum Leben erwacht. Die Sehnsucht nach einer Maschine, die selbstständig Neues erschafft und das leblose Objekt, das lebendig wird, schlagen inhaltliche Brücken zur Science-Fiction-Literatur und zu Legenden, die Judith Fegerl immer wieder als Sinnbilder an ihre Werke koppelt. Die männliche Vorstellung von erotisch aufgeladenen Apparaten, welche die natürliche Reproduktion wie auch den Tod ersetzen oder simulieren, gebar zahlreiche Junggesellenmaschinen von Künstlern, Philosophen und Literaten. Judith Fegerls Galatean Heritage kann als feministischer Gegenentwurf dazu gelesen werden.2008 entstand mit Simulating Intelligence Fegerls erste architekturbezogene Arbeit. Die über 60 Meter lange Schaufensterzeile an der Rückseite eines Ausstellungshauses (Kunsthalle Wien) wurde mit transluzenten Vorhangbahnen, die formal der Innenausstattung des Hauses entlehnt sind, drapiert. Dahinter pendelte ein Lichtfeld von einem Ende zum anderen in einer selbstgenügsamen Schleife. Das Haus bekam von Fegerl einen Pulsschlag, ein Signal nach außen, das den (technologischen) Geist der Architektur sichtbar machte. Diese Auseinandersetzung mit dem Körper der Architektur führt Fegerl 2010 mit Nystagm weiter. Die Außenhaut des Austrian Cultural Forum im Zentrum New Yorks erhält von Fegerl flackernde Lichtflächen, die über die gesamte Höhe des Hauses verteilt sind. Der Werktitel bezieht sich auf eine körperliche Fehlleistung, die unkontrollierbare, rhythmische Bewegungen eines Organes hervorruft – üblicherweise des Auges. Diese organische Dysfunktion überträgt Fegerl auf den architektonischen Organismus und lässt von außen eine Störung im hausinternen Lichtsystem vermuten. Die nervösen Lichtzeichen wirken als Kommunikationsversuch – ein Signal zur Stadt hin, das sich aber letztlich der Dechiffrierung entzieht und eine Auto-Reflexion, eine Bestätigung des Seins, bleibt. Judith Fegerl zitiert auch hier Science-Fiction-Visionen der 60er und 70er Jahre, in denen sich Computer von ihren SchöpferInnen emanzipieren und menschliche Wesensmerkmale zeigen, wie z. B. HAL 9000 in Stanley Kubricks 1968 entstandenem Film A Space Odyssey.Die Skulptur The Chinese Nightingale (2006) referenziert im Titel auf die Geschichte eines chinesischen Kaisers, der sich von der mechanischen der Fiktion. Reproduktion einer Nachtigall eine nie versiegende Quelle für geistige Genüsse und Hochgefühle verspricht. Im Märchen soll der Nachbau des Vogels Emotion auf Knopfdruck liefern. Fegerl übersetzt diese menschliche Sehnsucht in eine nüchterne Funktions-Ästhetik und artikuliert so eine Tendenz im Umgang mit dem Körper:Der Wunsch nach Perfektion, die Optimierung biologischer Fähigkeiten und die Kontrolle des Scheiterns finden sich nicht nur inTechnische Behelfe in der Medizin, Genforschung und Praktiken der Schönheitschirurgie werden eingesetzt, um menschliche Gebrechen und Unzulänglichkeiten zu korrigieren. Anorganische Teile werden mit dem menschlichen Körper verschmolzen (Kontaktlinsen, Prothesen, Herzschrittmacher …), um Defizite auszugleichen – ein Vorgehen, das letztlich von der Phantasie der Unsterblichkeit getrieben ist.Judith Fegerl verbindet organisches und anorganisches Material auch auf dem Träger Papier. In collagierten Anordnungen finden sich menschliches Haar, Kupferdrähte (die mitunter auch angelötet werden), Eisennadeln, Latex, Verbandsmaterial oder Metallklammern. Einige dieser Arrangements erinnern an Schaltpläne oder Konstruktionszeichnungen für Maschinen, die mit entsprechenden Zeichen ergänzt werden. Die Lemniskate – die liegende Acht – ist in diesen Arbeiten ein wiederkehrendes Element. Andere Papiere werden mit Nadeln durchdrungen und mit Verbandszeug verarztet und bekommen Namen wie shunt – ein Begriff, der in der Elektrik für eine elektrische Hilfsverbindung steht und in der Medizin eine (künstliche) Verbindung zwischen sonst nicht verbundenen Systemen beschreibt. Die Papiere begleiten Fegerls skulpturales Werk. Sie sind Skizzen, Ergänzungen und eigenständige Arbeiten im Gesamtwerk.Mit revers (2010) schließlich geht Fegerl einen Schritt weiter in der Verschränkung körperlich-geistiger Zustände mit Technologie und Maschinen. In Kooperation mit dem Roten Kreuz wird den Besucher/ innen als Teil der Installation Blut abgenommen. Mensch und Maschine werden in einem künstlerisch konnotierten Umfeld als hybrides Wesen inszeniert. Die eindringenden Nadeln öffnen den Körper und bilden ein Interface. Das Blut wird dem geschlossenen Herz-Kreislauf-System entnommen. In die Maschine eingespeist und bewahrt ist es biologischer Träger menschlicher Information. Verschlungene Stromkabel und Gummischläuche bilden die Schnittstelle zu den Blut spendenden Menschen und formieren einen Kreislauf, bei dem die Blutspendeapparate einen Hub zwischen Spender/innen(blut-)kreislauf und Empfänger/innenkreislauf bilden.5 Dieses performative Mensch-Maschinen-Setting hinter licht-pulsierenden Paravents und die Arbeit mit dem menschlichen Blutkreislauf bereiten das Feld für die Konfrontation mit dem subkutanen Stromnetz der Architektur in SELF vor: Adern und Leitungen. Wie schon zentral in den Arbeiten Simulating Intelligence und Nystagm wird auch bei SELF das architektonische Unterbewusste visualisiert. Judith Fegerl übersteigert bei SELF das Innenleben der Architektur, indem sie an den Datenbuchsen entsprechende Kabel anbringt, den Output aber verweigert, weil die Kabel in großen Schleifen rückgeschlossen werden. Im Unbewussten der Maschine zirkulieren geborgen Datenreste. Unwillig sich zu entpacken oder an die Oberfläche zu dringen, bewegen sie sich endlos in einem geschlossenen System, einzig der neurotischen Selbstbezüglichkeit verschrieben.Beim Betreten der Installation SELF sucht der Besucher/die Besucherin,seinen/ ihren tradierten Sehgewohnheiten folgend, nach Objekten und wird im entkleideten Raum alsbald seiner/ihrer eigenen Nacktheit bewusst. Judith Fegerl lässt den Charakter, das Selbst, zum Vorschein kommen – frei von Zwängen und zugeschriebenen Funktionen.1 Wolfgang Kemp (Hg.): Brian O’Doherty: Inside the White Cube. In der weißen Zelle,Berlin 1996.2 Los Angeles Downtown News, 09.11.2008, Seite 44 (www.ladowntownnews.com).3 Kemp, Seite 123 f.4 Henning Schmidgen: Das Unbewußte der Maschinen. Konzeptionen des Psychischenbei Guattari, Deleuze und Lacan, München 1997, Seite 31.5 Claudia Marion Stemberger: Schwellen, Übergänge, Passagen. Judith Fegerl: revers,Wien 2010 (www.artandtheory.net).

erschienen im Katalog
Judith Fegerl – SELF
Kunstaum Niederoesterreich
2010
ISBN: 978-3-9502934-0-1