Galerie Hubert Winter

Sobyō
drawings by 6 japanese architects
8. – 23. September 2006
Der Satz, der die Frage nach der Notwendigkeit von Zivilisation auf den Punkt gebracht hat, stammt von Mark Twain und lautet: "Zivilisation ist die unablässige Vermehrung unnötiger Notwendigkeiten." Damit ist alles gesagt.
Die letzten Zeilen in: Alexander von Schönburg, Lexikon der überflüssigen Dinge. Berlin, Rowohlt, 2006.

mit Fotos und einem Film - 'Light Years' - von Roland Hagenberg

Jun Aoki, Terunobu Fujimori, Toyo Ito, Kengo Kuma, Kazuyo Sejima, Ryue Nishizawa

Die Idee zur Ausstellung Sobyo - Japanisch für Skizze, schnell hingezeichnete Idee - kam mir auf einer Baustelle des Architekten Kengo Kuma in Shanghai. Die Zhongtai Box - Firmensitz eines Nachfahren des ersten Präsidenten der Chinesischen Volksrepublik - stand kurz vor der Vollendung. Kuma telefonierte, suchte hie und da nach einer Telefonnummer in einem Notizbuch, das mir schon vor Jahren aufgefallen war: mit rissigem Leder überzogen und vergilbten Blättern und nun zerschunden, zerknautscht und zerknittert. Selbst im Zeitalter der 3D Computer-Animation und High-Tech Gadgets konnte sich der Japaner nicht von diesem analogen Zettelbündel trennen. Bei Tadao Ando ist es nicht anders. Richtet man an ihn eine Frage, glaubt man ins Leere zu sprechen, während er in seinen (ebenfalls zerknitterten) Taschenkalender mikroskopisch kleingeschriebene Ideen einträgt. (Die an ihn gestellte Frage beantwortet er jedoch anschliessend immer präzise.) Der fetischhafte Bezug zum Papier war doch sicher nicht beschränkt auf Notizbücher? Können scheinbar belanglose Kritzeleien zum Beispiel auch Form und Wesen monumentaler Museumsbauten beeinflussen? Wenn ja, wie sehen diese Bleistiftgedanken aus? Ich habe dann sechs Star-Architekten gebeten, in ihren Schubladen nach alten Ideen zu kramen. Sie reagierten zunächst japanisch-bescheiden, mitunter skeptisch. Zu Tage kamen erste und alte Ideen auf Papier - mit unterschiedlichen Formaten, Eselsohren und Reisnägeleinstichen. In ihrem Charakter gleichen sie Mementos, Souvenirs und Liebesbriefen. Es sind zutiefst persönliche Eingeständnisse an einen brach liegenden, verletzlichen Augenblick, wo es nur darum ging, einen Gedanken nicht entkommen zu lassen. Alles andere war ja nebensächlich - ob etwa ein Betrachter die Zeichnung schön oder modisch finden würde, oder als stilistisch wegweisend. (Gerahmt in einer Galerie verwandeln sich diese Blätter natürlich zu einem Stilwegweiser des Architekten und werden damit zum Widerspruch).

Bei Terunobu Fujimori - dem diesjährigen Direktor des Japan Pavillions auf der Architekturbiennale in Venedig - erinnern die Zeichnungen an japanische Mangas. Es sind Kinderwelten voller Baumhausromantik und Humor. Fujimori korrespondiert gerne per Fax, wo er seine archaischen Hütten zwischen den Text kritzelt. (Bauten unter anderem: Jinchokan Moriya Historical Museum, Nagano; Teehaus für den ehemaligen Premierminister Hosokawa, in der Nähe von Tokio.)

Kengo Kumas fette Bleistiftlinien auf Reispapier sind Hinweise auf Baumaterialien, die er bevorzugt in Streifen zerlegt, wie Bambus, exotische Hölzer aber auch Glas und Plastik. Als Fassaden spenden sie Schatten, filtern Lärm oder sind Tarnelemente, um den Bau wie ein Chamäleon in die Umgebung einzubetten - etwa den Louis Vuitton Hauptsitz in die Omotesando, Japans berühmteste Einkaufsstrasse. (Bauwerke unter anderem: 'Water/Glass' in Shizuoka, eine Sternwarte in Kirosan in Ehime, Stone Plaza in Tochigi und das Hiroshige Museum in Tochigi.)

Die Skizzen von Jun Aoki dagegen verlassen ungern die strategische Ebene herkömmlicher Konstruktionspläne. Persönlich wird Aoki in Form von Korrekturen, wo schwarze Filzstifte erweitern, streichen und akzentuieren. Linien sind höchstens Vermutungen und im besten Fall verschleierte, verräterische Handschriften. (Bauten unter anderem: die Mamihara Brücke in Kumamoto, das Fukushima Lagoon Museum in Nigata, das Aomori Kunstmuseum sowie Louis Vuitton Flagstores in New York und Tokio.)

Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa verwenden ebenfalls Ausgangsskizzen - sie kommen auf die Zeichnungen jedoch wieder zurück, wenn der Bau vollendet ist. Das Ideendokument verwandelt sich zu einer abschliessenden Reflexion im Pop-Art Stil - etwa die Zeichnungen zum Museum in Almere. (Bauten unter anderem: Dior Store in Tokio, O-museum in Nagano und Zollverein School of Management and Design, Essen.)

Bei Toyo Ito schliesslich- seine Blätter sind die mit den Reisnagellöchern - wird die Ursprungsidee zu einem Tagebuchblatt hybrid angesiedelt zwischen Computerausdruck und flüchtig notiertem Eindruck, eingefangen zum Beispiel im Flugzeug auf dem Weg zum Expo-Gelände in Barcelona - als Unterlage diente das Kaffeetablett. (Bauten unter anderem: 'Tower of Winds' in Kanagawa und die Sendai Mediathek.)

Alle Fotografien © Roland Hagenberg