Galerie Hubert Winter

Ein Gemälde ist ein Gemälde ...
Reinhard Ermen — Kunstforum, Bd. 146. 1999

"Paintings, hand painted surfaces, are composed more or less evidently of a series of bushstrokes. One stroke is added to another in a judicious way until most or usually all of the underlying support has been covered in a manner appropriate to the subject matter innate to the artist. Meaning in these strokes, and consequently in the painting, derives from the method of organzation of the strokes together with the personal touch of the artist. In a realist or in an abstract painting the strokes function (and have allways functioned) on an underlying level, but in a one-color painting the strokes carry a major load of significance. Rather than serving another intention, they are that intention, a part of the subject matter of the paintings as whole."
(Getting on with painting,1981)
Am Anfing steht so etwas wie eine künstlerischer Pardigmenwechsel. Marcia Hafif (geb. 1929) fängt mit 43 Jahren noch einmal an. Sie beginnt eine grundlegende Untersuchung bzw. Bestandsaufnahme von Malerei schlechthin! Die Mittel, also die Materialien, die Farbe, die Vorgehensweise ihrer Bildwerdung stehen zur Disposition und werden in Reihen von primär einfarbigen, um nicht zu sagen monochromen Bildtafeln exemplarisch gewichtet. Zusammengenommen ergeben diese Reihen und Einzelteile ihr Hauptwerk, für das Marcia Hafif später die nüchterne Bezeichnung inventory findet, und dem sie nach wie vor Einzelblätter und Reihen hinzufügt. Ausgangspunkt dieser Neuorientierung war der Gedanke, dass an abstrakten Bildern nicht mehr gearbeitet werden kann, denn (so Marcia Hafif es immer wieder beschrieben), was sie bis dahin interessiert hatte, erscheint jetzt erschöpft und ausgelaugt: "Once I was actually in NY I soon realized that the painting, that had interested me, was now exhausted, that modern abstract painting might be exhausted as well." (Painting the usual way,1990) Die Neuorientierung fällt nicht zufällig zusammen mit dem Schritt von Kalifornien nach New York 1971; von 1961 bis 1969 lebte und arbeitete sie in Rom. Auf 15 Kapitel ist dieses Inventarbuch der Marcia Hafif mittlerweile angewachsen:
Pencil on Paper
Acrylic Paintings(Acrylic Glaze Paintings)
An Extended Gray scale
Oil studies, Mass Tone (Red Paintings)
Watercolors
Egg Tempera on Wood
Ink Drawings
Wall Paintings
Neutral Mix Paintings
Broken Color Paintings
Black Paintings
Transparent (Glaze) Paintings
Roman Paintings (Late Roman Paintings)
French Paintings
Enamel on Wood Paintings
Hier ist eine Konzeptkünstlerin am Werk; die Hinsichten ihres Vorgehens erinnern an die "Investigations" eines Joseph Kosuth; die einzelnen Kapitel wären ganz in diesem Sinne deren "Propositions". Der primär technische Zugang von Hafifs Vorgehensweise ist freilich malereispezifisch, demzufolge der Kunstgedanke von seiner Materialisation durch den entsprechenden Umgang mit Farbe nicht zu trennen ist. Dieser Aspekt, der ihre Vorgehensweise so entscheidend prägt, verdankt sich unter anderem auch der Begegnung mit Max Doerners Standardwerk "Malmaterial und seine Verwendung im Bilde", das 1921 erstmals erschien und unter der Ägide versierter Herausgeber und Bearbeiter immer neu aufgelegt wird (in den USA als "The Materials of the Artist"). Doerners wertkonservativer Ansatz, als die Erinnerung handwerklicher Traditionen, wird so partiell zum Begleiter und Mitinitiator dieser ganz anderen Wiedergewinnung. Was partiell aussieht wie die Kapitel eines Lehrbuches, ist die Diversifizierung einer Malerei an sich. Eine klassische Disziplin des Kunstbetriebs lieht unter dem Vergrößerungsglas, der ordnende Zugriff einer skeptischen Natur formuliert Grundsatzfragen und eliminiert sämtliche Antriebsfedern, die außerhalb des Mediums liegen. Das Malen wird im Rahmen einer kritischen (reinigenden) Selbstanalyse wieder gelernt, denn die erprobte Malerei bewegt sich allein im Rahmen ihres medialen Eigensinns. Die damit verbundene (vorläufige) Zuspitzung auf die objektivierenden Kategorien des Technischen, die durch den "personal touch of the artist" genügend individualisiert sind, die Identität von Bild, Objekt und Farbe emanzipieren Hafifs Kunst gegenüber den Verdammungsurteilen des Minimalismus (freilich im Sinne des Minimalismus) und erfüllen die guten Traditionen der konkreten Kunst mit neuen Leben. Aus einem auf sich selbst bezogenen Ordnungsprozeß wächst Hafifs Malerei, - die puristischen Aufgabenstellung der einzelnen Kapitel garantieren die Reinheit des Mediums; weiter nichts, suprematistische Ansprüche auf das Weltganze liegt fern.
Die einzelnen Kapitel formulieren Aufgaben bzw. Fragen an das Medium. "Pencil on Paper" (Kapitel "eins" des Inventory) wird 1972 freilich noch ohne das eigentlich unverzichtbare Material des Malers, die Farbe, beantwortet: "Papier und Bleistift sind das Grundmaterial, vertikale Bleistiftstriche. 0,64-1,27 lang (Koh-I-Noor HB) wiederholen sich über das ganze Blatt. Die Arbeit wurde in der linken oberen Ecke begonnen und endete in der unteren rechten Ecke, wenn die ganze Seite "beschrieben" war." (The Inventory- Anmerkungen, 1994) Mit skelettierender Deutlichkeit agiert ein schreibender Gestus, der später auch in einigen anderen Bildserien(und nicht nur dort) konstituierenden Charakter erlangt. Es entstehen Blätter, deren konzentriertes Ordnungsbewusstsein unmittelbar einleuchtet, die sich aber dem natürlichen, gleichsam agogischen Fluß des Schreibens weder entziehen können noch wollen. Alles, was Marcia Hafif macht, hat solch einen subjektiven Zug, der sich im Sinne der jeweiligen Fragestellung entsprechend kontrolliert. Eine andere Aufgabe ("Acrylic Paintings" ab 1972) erkundet die Ränder des Bildes bzw. des Tafelbildes: "Ich verwandte einen mittelgroßen Bildträger, wählte handelsübliche Acrylfarben, vermied die Wechselwirkung von Farben auf einer Oberfläche, indem ich eine Farbe pro Leinwand benutzte und untersuchte, wo die Farbe am Rand aufhört." (The Inventory- Anmerkungen, 1994)
Obwohl im Einzelbild dem ANSICH malerischer Reinheit verpflichtet, bilden sich innerhalb des großen Gefüges durchaus sprechende Strukturen. Die Arbeiten reagieren aufeinander, wenn Hafif etwa den 1976 begonnenen "Neutral Mix Paintings" 1978 die "Broken Color Paintings" folgen lässt. Die Idee der "Neutralen Mischfarben" war, den Grauton, der sich bei der Mischung zweier Komplementärfarben ergibt, unter Beimischung von Weiß vorzutragen, wobei sich die solchermaßen aufgehellte Neutralität niemals ins Einfarbige entziehen soll, denn die Spuren der alten Komplementärkontraste bilden hier einen Ton von seltsamer Unbestimmtheit. Gleichzeitig legt Hafif in den "Neutral Mix Paintings" analysierende Kontrolltafeln an, die die verwendeten Mittel dokumentieren, indem sie separieren und bezeichnen. In den "Broken Color Paintings" (ab 1978) wird der vorherrschende monochrome Charakter der vorangegangenen Serien aufgebrochen. Die vorliegende Handlungsweisungen produziert dabei ihre ganz eigenen Formen des Subjektivismus. In den "Boken Color Paintings" beginnt etwa das Setzen der kontrastierenden Töne "in der Mitte der Leinwand in Schulterhöhe und leicht diagonal gesetzt". Der nächste Strich in der Kontrastierenden Farbe verhält sich zum anderen, die Neigung der Striche ist abhängig von der Reichweite des Arms. Das Bild der gebrochenen Farben zentriert sich gleichsam in der Mitte, die eigene Gestalt hinterlässt ihre Spuren im analytischen Gemälde. Die Tautologie des um sich selbst kreisenden (konzeptionellen auch minimalistischen) Kunstgedanken, die ohnehin nur durch den Willen eines handelnden Subjekts angeworfen werden kann, wird durch eine spezifisch malerische Setzung gleichsam auf natürliche Art und Weise durchbrochen.
Ohne den Bezug auf sich selbst, wäre Hafif kontrollierte Form der Erhabenheit, die strenge Erfüllung der eigenen Prinzipien tot. Die Gefahr, mit den selbsterlegten Gesetzen in die Falle einer "Dialektik der Aufklärung" zu laufen, ist allgegenwärtig. Doch das Inventory, das ihr künstlerisches Denken zunehmend beherrscht, ist eine durchaus janusköpfige Vision. Da sind zum einen die einzelnen Kapitel mit ihren genauen Handlungsanweisungen, dort ist zum anderen das Inventory als Ganzes, das die Einzelfragen zusammenbringt und im Nebeneinander womöglich zu einem dritten gelangt. Schon Hafifs Bildinstallationen bringen Elemente zurück, die aufgrund der medialen Reinheitsgebot in der Einzelarbeit nicht sein können. "Komposition", aus dem Inneren des Bildes verbannt, darf in der Installation sein, wenn auch nur nach Maßgabe einer kontrollierten "Reihentechnik". Das Nebeneinander der Bilder habt naturgemäß deren Einfarbigkeit auf. Die Installationen, mit denen sie etwa ihre "Oil Studies" oder ihre "Neutral Mix Paintings" zusammenbringt, praktiziert, fast schon mit einem ironischen Seitenblick auf Traditionen der "Petersburger Hängung", bewegte Farbklänge. Hier, im "White Cube", wird auf einer konkreten Ebene das Spiel von Figur auf Grund nicht möglich. Das Ensemble ist die Einheit rhytmisch organisierter Einzelteile. Das konzeptuelle Gemälde, das ohnehin schon geprägt ist vom subjektiven Befinden des handelnden Künstlers, das analytische Bild, das nur sein eigenes Innenleben kennt, schweigt im Normalfall; doch kaum hängen mehrer Tafeln zusammen, fangen die Bilder an zu sprechen.
Marcia Hafif steht mit ihrer Kunst nicht allein. Malerei nach Maßgabe einer produktiven Selbstreflexion präsentiert sich zum Beginn ihrer eigenen Neuorientierung (vornehmlich auf dem europäischen Kontinent) in einigen Ausstellungen mit sprechenden Titeln: "Fundamentale Schilderkunst"(1975 Amsterdam) oder "Analytische Malerei"(Düsseldorf, Milano,Genova). Die Idee des tautologisch um sich selbst kreisenden Kunstgedankens, wie ihn Joseph Kosuth etwa 1969 für die Konzeptkunst formulierte ("The Art after the Philosophy"), wird zum treibenden Moment dieser "Bilder ohne Bilder", um einen Ausstellungstitel von Klaus Honnef zu zitieren, unter dem er 1977/78 im Rheinischen Landesmuseum in Bonn die Spitzen der Analytischen Malerei und ihnen wahlverwandte Naturen versammelte. "Den einzelnen Arbeiten liegt ein rationales Konzept zugrunde", schreibt Honnef schon 1974 zu der ebenfalls von ihm verantworteten "Geplante Malerei"(im Westfälischen Kunstverein Münster) und fährt fort: "... die anzuvisierende malerische Lösung werden- auf mannigfaltigste Weise- geplant und durch die Planung, die das Kalkül "beaufsichtigt". Die Erscheinungen jedoch, die mit Hilfe der Planung zustande kommt, das bildnerische "Image", mutet meist irrational an oder appelliert ganz einfach an Aufnahmefähigkeiten, die weniger aus intellektuellen als emotionalen Bereichen gespeist werden. Sie löst vorwiegend Empfindungen aus."
Mit den "Black Paintings", die 1979 begonnen wurden, datiert Hafif den Beginn ihrer "post analytical"Paintings. Schon in den unmittelbar vorangegangenen "Broken colors" hatte sich ein subjektiver Zug bemerkbar gemacht, von dem schon die Rede war. Bezeichnenderweise tauchen jetzt neben den bewährten technischen Kapitelüberschriften (die niemals ganz verschwinden) auch andere Reihenbezeichnungen auf; Namen etwa, die Ordnung schaffen und gleichzeitig etwas erinnern: 1986 kommen in diesem Sinne die "Roman Paintings" dazu, zwei Jahre später die "French Paintings". Mit den "schwarzen" Bildern tritt die Farbe, die bislang unverzichtbarer Bestandteil war, aber als solche nur Mittel zum Zweck, - die Farbe tritt in den Vordergrund. Es entstehen vielschichtige , irritierende auch leicht gebrochene Farborganismen aus Ultramarin und gebrannter Umbra. Die Pinselführung individualisiert sich. Mit diesen bewegten Organismen kommt es, Hafifs eigenem Bekunden zufolge, fast zu einer Annäherung an den abstrakten Expressionismus. Die Notwendigkeit, auf Distanz zu gehen, ist nicht mehr gegeben, der eigene Absolutheitsanspruch gerät kaum in Gefahr; aus der Position einer subjektiven, dennoch analytisch kontrollierten Ausschließlichkeit der Farbe darf so eine natürliche Nähe wieder sein und ist gleichzeitig ein Bekenntnis zur Tradition der Moderne in den USA. Die Bezeichnung "Black" ist dabei nur eine ungenaue Umschreibung der verletzlich, hintergründigen Tonigkeit, die irgendwo zwischen schwarz und braun unter der seidig, fragilen Malhaut vibriert. Mit diesem Farbsensualismus deutet sich der Weg zu einer Ausstellung an, die (Kurator war seinerzeit Thomas Krens) 1984 in Williamstown (Massachusetts) den schlechthinnigen Absolutheitsanspruch der Farbe feiern sollte und damit auch mit einer eigenen Begrifflichkeit aufwartet: Radical Painting.
Die Vorgeschichte dieser mittlerweile legendären Ausstellung reicht bis in die 70er Jahre; das evoziert jedenfalls der Katalog, der in manchem an den zu den "Bilder(n) ohne Bilder" erinnert, ganz abgesehen davon, dass es zahlreiche personale Überschneidungen davon, dass es zahlreiche personale Überschneidungen gibt. Der Katalog aus Williamstown und seine auf zweieinhalb Seiten konzentrierte "Chronologie of the Group" nennt als erste Station, September 1976, "Color in Painting" im Instituto Italo-Latino Americano in Rom; zweite Station, Dezember 1977, "Bilder ohne Bilder" im Rheinischen Landesmuseum Bonn; dritte Station, Juni 1978, "Fractures du Monochrome" im Musée d´Art moderne Paris und als vierte Station, September 1978, einen Artikel von Marcia Hafif im Artforum: "Beginning Again". Olivier Mosset setzt sich daraufhin mit Hafif in Verbindung. Die "Discussion Group" in Sachen farbkonzentrierter Ausschließlichkeit von Malerei beginnt sich zu bilden; Robert Ryman, Merril Wagner, Stephen Rosenthal, Doug Sanderson beteiligen sich zeitweilig daran. In Williamstown sind es schließlich 11 Protagonisten (die keinesfalls alle aus New York kommen), die sich dem Anspruch dieser "Radikalen Malerei" stellen: Raimund Girke, Marcia Hafif, Anders Knutsson, Joseph Marioni, Carmengloria Morales, Olivier Mosset, Phil Sims, Howard Smith, Frederic Thursz, Günter Umberg und Jerry Zeniuk. Die personalen Konstellationen bei der deutschen Ausgabe von "Radical Painting" noch im gleichen Jahr in Oberhausen ("Verein für aktuelle Kunst") unter dem Stichwort "Präsenz der Farbe" sieht schon wieder etwas anders aus. Im folgenden sind es Günter Umberg und Joseph Marioni, die dem postanalytischen Empfinden, also einer ausschließlich der Farbe zugewandte "Radikale Malerei" ihr terminologisches Gesicht geben. Als Antwort auf die laute Vorherrschaft der "Jungen Wilden" verhallt der Ruf nach dieser neuen Malerei, die weiterbaut am "Projekt der Moderne", zu diesem Zeitpunkt weitgehend ungehört. Der Kunstmarkt hat andere Interessen, die Kritik (Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe dazu: KUSTFORUM Radical Painting, Band 88, April 87) hält anders für wichtiger. Erst in letzter Zeit scheint es so, als sei "Radical Painting" im Reigen der Begrifflichkeiten zur neueren Kunst (nachträglich) akzeptiert worden.
In Oberhausen ist Marcia Hafif nicht mehr dabei. Die Initiatorin der Discussion Group war womöglich nie eine "Radikale" Malerin, zumindest nicht im Sinne eines priesterlichen Absolutheitsanspruchs, wie ihn Joseph Marioni gelegentlich formuliert hat. Die ihr eigene Genauigkeit steht dem Konzept womöglich näher als der Farbe. Zwischen den Betrachter und die Malerei, die im geschärften Sinne der Radikalen Malerei ganz für sich allein stehen sollen, schiebt sich bei Marcia Hafif immer der Kontext ihres Inventars. Es ist wie beim Hören von Musik (das Beispiel stammt von Hafif selber): Die Kenntnis bzw. das Mitlesen der Partitur schafft andere Hörerfahrungen, unerwartete Zusammenhänge. Kontrapunkte und Redestrukturen können deutlich werden. Das einzelne Werk hat Teil an der großen "Investigation" deren Vorgehensweisen in einer imaginären Partitur notiert sind. Wer nicht weiß von dieser Nähe des Einzelnen zum Ganzen nimmt immer nur einen Teil des Werks wahr, der selbstredend stark genug ist für die erfüllten Augenblicke des Sehens. Das Konzept des Inventars ist der qualitative Überbau, die Einzelarbeit, die in ihrem medialen Autonomieanspruch Bild an sich bleibt, wird durch den Kontext des "Inventory" immer relativiert, aber auch aufgewertet. Wie ein Betrachter, der nahe am Bild die Details würdigt, und doch beim Zurücktreten noch etwas anders sieht, so ist das Einzelbild im Verhältnis zum gesamten "Inventory" einzuordnen. Jedes Bild bleibt Teil, ist Fragment das großen Buchs der Malerei, das als ganzes ein Hauptwerk in der Gegenwartskunst ist.
Zur Arbeit von Robert Ryman gibt es Bezugspunkte, aus denen sich wahlverwandte Nähe genauso ergibt wie fundamentale Andersartigkeit. Ein Jahr jünger als Hafif, läuft Rymans Arbeit seit dem Ende der 50er Jahre konsequent auf die für ihn charakteristischen Bilduntersuchungen zu, an deren Anfang noch die Auseinandersetzung mit dem allgegenwärtigen abstrakten Expressionismus stand. Die Analytische Malerei wird hier vorbereitet, um nicht zu sagen "erfunden". Die Überwindung der Abstraktion durch die Konzentration durch die Konzentration auf einzelne Gesten, ja Floskeln und Bildaspekte sind Bausteine zu seiner besonderen Onthologie der Malerei, besser: des Tafelbildes. Einen Paradigmenwechsel, wie ihn Hafif nach 1971 vollzog, gibt es für Ryman nicht. Auch die Systematisierung seiner Arbeit in Serien, die ab 1965 beginnt, ist kein solcher Bruch, sondern die Konsequenz einer Entwicklung, die spätestens ab diesem Punkt den abstrakten Expressionismus hinter sich gelassen hat. Dass Ryman fast ausschließlich mit Weiß arbeitet und sich dabei vornehmlich auf quadratische Formate konzentriert, spricht für seine durchaus anderer Gesinnung, die nicht nur malerische Probleme bearbeitet, sondern die Tafel bis hin zu den Aufhängern und ihrem Ort im Raum erkundet. Diesem "Realismus" (die Kennzeichnung als "konkrete Kunst" lehnt Ryman bewusst ab) geht es womöglich nie um ein Bild an sich, sondern immer nur um das Bild des Augenblicks bzw. der augenblicklichen Situation: Seine Malerei ist einzelnen Aspekten zugewandt, er bearbeitet im übertragenen Sinne Themen (=bildimmanente Realismen), wie sich in früheren Zeiten ein Maler mal der Landschaft, mal dem Porträt zuwandte, nur dass diese Themen im Rahmen der großen allgemeinen Autonomie, der sich Ryman wie Hafif verpflichtet fühlt, aus dem medialen Kreislauf des Bildes selbst kommen und sich dementsprechend konkretisiert. Bei Hafif geht die Aufgabe dagegen immer im ganzen Bild auf, anders gesagt: Einzelaspekte (die Problematik des Bildrandes etwas in den "Acrylic Paintings") werden von der Gestalt weitgehend aufgesogen. Ryman ist, um eine unterscheidende (nicht wertende) Kategorie herbeizurufen, eher ein "analytischer abstrakter", Hafif eine "Konzeptkünstlerin". Und obwohl auch für Marcia Hafif Farbe das unverzichtbare Material ihrer künstlerischen Handlungen ist, steht Robert Ryman viel mehr da als Maler, als Pragmatiker, der ein Problem mit einem Bild oder mehreren Versuchen über einen Aspekt erledigt und ablegt. Seine Reihen sind abgeschlossen! Hafifs "Inventory", das auch abgeschlossene Kapitel kennt, bleibt weitgehend offen, weil mit jedem neuen Bild der nimmersatten Utopie des großen, notwendig fragmentarischen Werks (vielleicht ist das ein riesiges, abstrakt- konkretes Gemälde im Kopf der Künstlerin) ein weiters Steinchen hinzugefügt wird. Das Inventory wird dabei auch eine Art Buch des Lebens, dessen Aufgaben mehr oder weniger ständig präsent sind.
Marcia Hafifs "Inventory", das nicht mehr ist als eine nüchterne Handlungsanweisung primär technischer Aufgaben und das doch wie ein idealistisches Reinheitsgebot über ihrer Arbeit schwebt und sie als Gesamtwerk zusammenhält, erinnert in manchen Aspekten an Gerhard Richters "Atlas". Nun ist "Atlas" physisch durchaus greifbar, doch nur zum Teil, denn das Riesenwerk mit seinen mittlerweilen mehr als 5000 Einzelteilen ist auch ein Apparat zum Gesamtwerk Richters. "Atlas" ist Kontrollinstanz und hat als solche ähnliche Aufgaben wie das "Inventory"."Atlas" eignet durchaus etwas Moralisches an, und im sinne einer solchen Ehrlichkeit in bezug auf das Darstellbare war er wohl auch auf der "documenta X" zu sehen, wo man der Malerei selbst nicht mehr über den Weg traute. Diese idealisierte Komponente ist bei Richter genauso schwer greifbar wie bei Hafif, deren Buch des Lebens ohnehin mit ihrem Hauptwerk identisch ist. Dass die vom Atlas beaufsichtigte Malerei Gerhard Richters trotz der augenblicklich vorherrschenden Arbeit an den abstrakten Bildern auch für ältere Fragestellungen seines Weißbuchs offen ist, führt ihn wieder ein wenig in Hafifs Nähe. Die stete Anwesenheit einer wachenden Instanz verleiht den jeweiligen Ouevres andauernde Gegenwärtigkeit.
1965, als Robert Ryman mit "Windsor" seine erste Serie beginnt, ist Hafif noch mit abstrakter Malerei beschäftigt. Es entstehen hard edge Bilder, in denen zum Beispiel die Frage nach Figur und Grund ausgetragen wird. Diese Bilder sind objekthafte, konkrete Bildtafeln, deren Ränder bzw. Bildzargen ganz selbstverständlich in die Malerei einbezogen sind. Manche dieser Arbeiten erscheinen fast wie mediterrane Alternativen zu den (gleichzeitigen) geometrischen Reduktionen der Joe Baer. Die zarte Farbigkeit dieser selbstbewussten, empfindsamen Geschöpfe mag sich der Tatsachen verdanken, dass sie zu dieser Zeit in Rom lebt. Trotz dem Neuanfang 1971 in New York hat Hafif sich von diesen Bildern nie distanziert; dazu bestünde auch gar kein Anlaß; viele Probleme ihrer späteren Arbeit werden hier gleichsam antizipiert, die Frage nach Figur und Grund etwa. Die zarte Coloristik scheint später bei den French Paintings am deutlichsten wieder aufzutauchen. Ohnehin gibt es zum fraglos dominierenden Hauptwerk des Inventory noch begleitende Linien, die schon parallel zu den Bildern der 60er Jahre einsetzen und auch heute noch weitergeführt werden; architektonische Installationen ("Cave in the house in West Hollywood" 1960/61), eine ganze Reihe von Filmen, beginnend mit "Snow falling" 1968. Um 1970 herum kommt es verstärkt zu solchen "freien" Arbeiten, denn im Rahmen ihrer wachsenden Zweifel am Sinn abstrakter Malerei hatte Hafif den Pinsel zeitweilig ganz aus der Hand gelegt. Andere Bezugspunkte, zur Fotografie etwa, ergeben sich durch gezielte Hinweise auf unerwartete Traditionszusammenhänge. Den "Late Roman Paintings", die in ihrer Farbigkeit ab 1996/97 die späte Malerei des Römischen Reiches zitieren, wurden bei einigen Ausstellungen als optische Fußnoten Familienfotos des 19.Jahrhunderts beigegeben, die die stumpfen Hochformate in die Nähe gängiger Porträtformate rücken. Das gleichgroße Foto ist dabei nicht Teil des Werkes, sondern nur Hinweis, auf einen Kontext, der die mediale Eigenständigkeit dieser monochromen Tafeln ("in my frequent style") nicht in Frage stellen kann.
Und dann gibt es neben den essayistischen Schriften, den verbalen Instanzen des "Inventory", autonome Texte, die gelegentlich die Spuren von Hafifs persönlichem Herkommen aufarbeiten, was in den Filmen und Fotos ebenfalls geschehen kann. Auch die fotografischen Fußnoten zu den "Late Roman Paintings" stammten aus ihrem Familienalbum. "Words", geschrieben bzw. "gezeichnet" 1972, parallel zum Kapitel 1 des "Inventory", geben sich einem freien, ungrammatischen Fließen des kleingeschriebenen Wortmaterials hin, von rechts nach links, ohne Punkt und Komma: "description life much spelling experiences universal pleasing more pens easy seperate is two the conciously level it tone typewriters knowing doing what under other lying might learn meaning separation trust tea yourself cause juice passport anxiety card greens thinner orange mild paint records soap thinner shampo with better three go bad store drawings people..."Seit 1976 gibt es davon eine gedruckte Version auf 22 gut gefüllten Seiten.
Eng mit den Aufgabenstellungen des Inventory ist das Reisen verbunden. Einzelne Kapitel verweisen sogar darauf, wobei die "Roman" oder die "French Paintings" historisch nicht mehr an den Ort, wo sie initiiert wurden, gebunden sind. Eindrücke von Licht und Farbe dürfen, soweit die Aufgabenstellung des Inventory es zulässt, aufscheinen. In der Aufgabe wird ganz von ferne etwas erinnert. Hafif ist alles andere als eine konzeptuelle Dogmatikerin! Solche Reminiszenzen, die wie ein minimaler darstellerischer Rest über den Handlungsanweisungen schweben, wären bei Ryman schwer denkbar; schon die Farbe an sich: Weiß, stünde dagegen. Rymans Benennungen etwa "Windsor" oder "General" dienen lediglich als (wohlklingende) Etiketten zur Unterscheidung der einzelnen Reihen seines eigenen objektivierenden "Realismus". Hafif dagegen nimmt Eindrücke von anderswo in ihre Malerei hinein, die trotzdem so autonom bleibt wie möglich.
Für Maurice Bessets epochale Ausstellung "La couleur seule" etwa, welche 1988 in Lyon nicht mehr und nicht weniger als die "monochrome Erfahrung" im 20.Jahrhundert dokumentieren wollte, reihte Marcia Hafif wie an einer Perlenschnur neun kleine, jeweils monochrome Formate nebeneinander, die als ganzes ein mehrfarbiges, systematisches Ensemble ergaben, mit einem Achteck in der Mitte. Diese "Tableaux Lyonais" waren vor Ort entstanden und nahmen die (symmetrische) Proportionen des Ortes auf, als die der Krypta der neugotischen Kirche St. Fourviere, in der ein Kapitel der großangelegten Ausstellung installiert war. Reisebilder, so könnte eine Abteilung der Arbeiten von Hafif heißen, die die Kategorien des Inventory quer schneidet; die Lyoner Arbeiten wären etwa der Beginn der "French Paintings". Am radikalsten (im wörtlichen Sinn) ist dieser Gedanke wohl in der Serie "Enamel on Wood" verwirklicht. Je nachdem, wo diese Arbeiten entstehen, in München, Neuss, Düsseldorf oder New York lässt Hafif sich geleimte Holzplatten oder geschlossene Kästen, die ein wenig an Bilder auf Keilrahmen erinnern, machen. Auf diese quadratischen Körper trägt sie in wenigen, deckenden Schichten Lackfarbe auf; fein säuberlich, oben links beginnend, wie schon bei "Pencil on Paper". Die persönliche Geste beschränkt sich auf das notwendigste, geht also fast gegen Null. Die Lackfarben selbst kommen von örtlichen Herstellern, und dieses Vorhaben verdankt sich der Entdeckung, dass es zahllose, kleine Farbenhersteller gibt, die eine bunte Vielfalt an Farben kreieren, wobei jeder Ort ein wenig seiner regionalen Eigenheit in die Farbtöne gegeben hat.
Schon zwischen Köln und Düsseldorf gibt es da feinsinnige Differenzen, ganz zu schweigen von den welten, die zwischen München und New York auftreten. "Enamel on Wood" ist im wahrsten Sinne eine arme Kunst, die Bilder tragen die Namen der preiswerten Glücksversprechungen, die der Hersteller einem Produkt mitgibt: Maigrün, Bahamabeige, Enzianblau, Kieselgrau, Chinese Red oder Mandarin Yellow. Obwohl diese Tafeln als Reisebilder durchaus Erzählhaltungen verinnerlichen, nämlich den gebändigten Wiederschein einer Lokalfarbe, gelingt durch die formale Disziplin, durch die Konzentration auf Bedingungen des Tafelbildes an sich so etwas wie "Radikale Malerei" im höchsten Verdichtungsgrad zu schaffen. Als Hafif im Oktober 1990 zur Teilnahme an "Construction in Process" im Polnischen Lodz eingeladen wird, war ursprünglich auch so eine Serie mit Reisebildern geplant; "Enamel on Wood" vielleicht sogar mit den vorgefundenen Restmaterialien des untergegangenen Sozialismus. Doch die Malerei realisiert sich an diesem Ort nicht, statt dessen kommt es zu einer Aktion bzw. Performance mit Pavel Sobzcak. Die fremde Sprache, die sie nicht versteht, fasziniert Hafif, und mit Sobzcak findet sie einen Partner, der kein Englisch kann, so dass sie gezwungen ist, die öffentliche Konversation mit dem fremden Gegenüber, die zu bestimmten Zeiten in einer der Fabrikhallen stattfindet, mit Zeichen und Zeichnungen zu führen. Zwischen den Dialogpartnern, die sich gegenüber an einem Tisch sitzen, liegt ein großes Blatt Papier. Das sich mit Erklärungsversuchen füllt:"We had no fixed audience but placed ouselves where people came and went or stayed to see and hear our talk. Some stopped quickly, some pulled up chairs and tried to help while others passed by not seeming to notice us."