Galerie Hubert Winter

Jean-Luc Vilmouth: Die Ursprünge der Fiktion.
Benjamin Weil — in: Animal Public, Bonner Kunstverein, Städtische Galerie Göppingen, Stadtgalerie Saarbrücken, Camden Arts Centre. 1994/95

"Mich haben ethnologische Museen immer viel stärker angezogen als Kunstsammlungen; (...) Was mich interessiert ist die Menschheit und ihre Erfindungen: zur Kenntnis nehmen, was ein Klima oder eine Region hervorbringt ebenso wie die Eigenart dieser Produktion... Das macht die Menschheit für mich interessant." (1)

Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden die Grenzen, die das Territorium der Kunst definieren, zusehends verschwommener. Mit zunehmender Zahl an anderen Formen der Darstellung sah sich die Sphäre der Kunstpraxis zur Erfindung anderer Stategien genötigt, um ihre eigene Existenz zu rechtfertigen. Tatsächlich stand das Problem der bildlichen Darstellung im Mittelpunkt der Auseinandersetzung seit der Pionierzeit der Abstraktion bis hin zur Entwicklung einer veränderten Haltung gegenüber dem gewöhnlichen Gegenstand, wie sie von Marcel Duchamp demonstriert wurde. Letzterer löste seinerseits eine weitreichende Reflexion über den Ausstellungskontext und dessen dominierenden Einfluß auf das Kunstobjekt selbst und dessen Bedeutung aus.
Als eine Folge davon hat sich der kreative Prozeß der Bedeutung der Seh-Erfahrung bei der Definition von Kunst wie auch der Notwendigkeit, eine veränderte Art von Kontakt zwischen Publikum und Kunstprodukt herzustellen, angenomen. Seither dreht sich die Auseinandersetzung um die Fähigkeit der Kunst, eine aktive Beziehung zum Publikum herzustellen ebenso wie um ihre Zugänglichkeit; für eine große Zahl von Kunstpraktizierenden stellt die Interpretation heute einen wesentlichen Schritt im letzten Stadium des kreativen Prozesses dar. Diese Künstler neigen dazu, ihr Werk eher als Erfahrungsgenerator zu verstehen, anstatt lediglich eine verschlossene Oberfläche anzubieten, die ohnehin in der überwältigenden Menge an täglichen Informationen untergehen würde. So versuchen sie vielmehr etwas wie einen Zeitverlauf anzubieten, in welchem das Publikum über Arten von Beziehungen zu seinen Konditionen reflektieren kann. Zu dieser Art von Künstlern zählt Jean-Luc Vilmouth. Er äußert nur geringes Interesse an formalen Aspekten und läßt sich eher mit einem Ethnologen vergleichen als mit einem Künstler. Deshalb möchte er zutreffender als "Steigerer" (augmentateur) bezeichnet werden, also als jemand, der für unsere alltägliche Umgebung wieder Bedeutung erzeugt, anstatt sie mit überflüssigem Zierrat auszustatten.
Vilmouth interessierte sich schon sehr früh für Fragen zum Ursprung der Dinge, später dann auch für unsere Beziehung zu unserer Umgebung. In seinem Werk wird das Objekt zur Quelle für die Erforschung der gesellschaftlichen Gebilde des Menschen: der Künstler erforscht die Vorgänge, die Bedeutungen und Werte hervorbringen, indem er Bezüge seien sie formal oder historisch - herstellt zwischen den verschiedenen konstituierenden Bausteinen unseres täglichen Lebens. Die "formalen" Verweise können dem ready made entlehnt sein. Hier endet allerdings auch schon die Ähnlichkeit, die möglicherweise zwischen den Werken von Duchamp und denen von Vilmouth besteht. In ähnlicher Weise könnte man Verweise auf die Minimal- und Konzept-Kunst erkennen; diese wurzeln jedoch eher in einer bestimmten Art und Weise, über vertraute Bezüge neue Bedeutungen herzustellen, und genau dies ist das eigentliche Anliegen der Arbeit von Vilmouth. Indem er andere Verbindungstypen zwischen dem Gegenstand und dem Kontext vorschlägt, ermöglicht er einen veränderten Blickwinkel hinsichtlich der Beziehung, die der "Seher" zu den zur Schau gestellten Gegenständen einnimmt.
Mittels einer Folge von Geschichten erfindet Jean-Luc Vilmouth die Ursprünge so grundlegender Aspekte unseres Lebens wie Sprache, Ton und/oder die Behausung neu. Dabei geht es ihm weniger um die Anerkennung der genauen Erkenntnisse wissenschaftlicher Kreise, darum, deren Prozesse spekulativen Denkens anzunehmen und zugleich deren zwanghaften Drang zur Etablierung von Wahrheit zu vermeiden. Der Künstler zieht seine Schlußfolgerungen unter der Prämisse, daß jede lineare Form der Aufzeichnung eine Fiktion ist: er findet den Ursprung jedweder humanen Organisation in einem Vorfall, wobei er des Menschen Befähigung zur Beobachtung und zur sich daraus ergebenden Nachbildung einer Kette ansonsten unzusammenhängender Phänomene unterstreicht. In seiner Vorstellung wurde die Behausung als Folge von Abfallanhäufungen entdeckt: das Ergebnis einer Folge von Handlungen, die nicht systematisch geplant waren, feststellend entfaltet die Menschheit eine Fähigkeit zur Assoziation von Elementen, die ein spezifisches Ergebnis hervorbringen, sobald sie auf eine bestimmte Weise verbunden werden.
In einer späteren Installation nutzt der Künstler einen vergleichbaren Gedankengang, um eine Deutung dafür anzubieten, warum die Welt rund wurde. Indem er seine Untersuchung mittels Fotos von Gegenständen so aufzeichnet, daß sie sich gewissermaßen als Beweisfolge darstellen, indem er weiterhin ein Modell seiner selbst in Lebensgröße in die Mitte eines runden Empfangspultes setzt, ein Modell, das durch eine Art von Teleskop blickt, behauptet Vilmouth seine Stellung als die eines Beobachters, der solche Anhaltspunkte (wieder?) assoziiert, um seinen schlüssigen Beweis hervorzubringen. Dieser seiner Vorstellung folgend ist die Erfindung von Werkzeugen oder jede andere Form von Produktion das Ergebnis dieses assoziativen Vorgehens.
Dieser für das Werk von Vilmouth entscheidende experimentelle Aspekt wird noch deutlicher in einem der frühen Stücke, wo er z.B. den Versuch unternimmt, das Territorium eines Baumes zu definieren, indem er die Umrisse seiner Wurzeln mit Pigmenten nachzeichnete. Eine mögliche Lesart dieses Werkes würde bedeuten, die Markierung zu verstehen als eine Erforschung der Effekte von Displacement auf den Verständnismechanismus. Der Ort des Experiments ist eine entscheidende Dimension im Werk. Man ist versucht, dieses Anliegen auch in der ersten Version von "Rencontre" zu sehen, bei der er das Gehäuse eines Fernsehers im Wald plazierte. Ein großer Baumstamm durchstieß in dort, wo sich üblicherweise der Bildschirm befindet, und wurde mit kleinen Holzplanken sicher an Ort und Stelle gehalten, drei Stufen von Holzveredelung mit dem Wald als Hintergrund. Dieser Rahmen bietet sich nahezu an als Metapher für die Beziehung des Menschen zur Natur. Repräsentation ist unsere natürliche Art, mit unserer Umwelt umzugehen. Diese Naturerfahrung aus zweiter Hand wurde ein weiteres Mal evoziert in einer Installation mittels einer Tapete, deren Muster auf dem Foto eines Waldes basierte. Der Künstler versah diese Wand mit natürlichen Pflanzen und stummen Lautsprechern.
Diesen Gedanken einen Schritt weiterdenkend , arbeitet Vilmouth derweil an einem "Vogelmuseum", welches im öffentlichen Raum eines Wohnkomplexes für Menschen mit niedrigem Einkommen installiert wird. Das Museum wird in einem Transportflugzeug unterkommen. Jedes Fenster wird zu einem Leuchtkasten, der nachts glüht. Das Innere bietet die Möglichkeit, solche Bilder tagsüber zu betrachten, und wird als Gemeinschaftstreffpunkt dienen. So wird Natur in die städtische Umwelt zurückgebracht mittels jener Technologie, die Bewertung evoziert ebenso wie sie für das Fliegen steht und so aufzeigt, in welchem Maße die Natur den Menschen beflügelte, mannigfaltige rund um den Globus verteilte unterschiedliche Gemeinschaften technologisch miteinander zu verknüpfen.
Wenn man diese Annäherung einmal als seine Hypothese festgestellt hat, vermag man Vilmouths Erforschung der Dinge zu verstehen als das Bemühen, deren "Gedächtnis" wiederherzustellen.
Um das Werkzeug unter funktionalen Gesichtspunkten zu untersuchen, präsentierte der Künstler z.B. einen Hammer an der Wand, welche er wortwörtlich mit diesem Instrument ausgehöhlt hatte, um eine Einprägung zu erzeugen, die zum Darstellungsmuster wurde: das Werkzeug und seine Funktion wurden zeitgleich zum Objekt und Subjekt künstlerischer Untersuchungen. Dieselbe Vorgehensweise führte zu Werken von "minimalistischem" Anschein, z.B. jenem, bei dem die Umrisse eines Hammers auf dem Boden von Nägeln gebildet wurden, wodurch eine andere Funktion, ein anderes Erinnern für ebendieses Objekt offengelegt wurde. Innerhalb dieses spezifischen Verständnisses, in dem der Gegenstand zur Prämisse für die Skulptur wird, wirkt die Einbeziehung des Prozesses wie eine Verschiebung seiner ursprünglichen Funktion. Werkzeuge, welche zur Hervorbringung einer Skulptur gedient haben können, wurden im wörtlichen Sinne zu ihrem formalen Fundament. Schon dies fügt der Schaustellung des Gegenstandes eine weitere Dimension hinzu, just das nämlich offenzulegen, was in einem traditionellen Kunstwerk verborgen bleibt. Das ready made ist gewissermaßen zerlegt in die ganze Folge von Experimenten: Das Interesse ist nicht mehr auf das Geheimnis des "Kreativen Prozesses" oder das "wie wurde das gemacht" gelenkt; vielmehr zeigt es den Gegenstand als Baustein unseres Herrschaftsbereiches, der nur so existieren kann.
In der Installation "Local Time" wurde das Potential dieser verschiedenen Sehweisen gegenüber dem gleichen Gegenstand lediglich nahegelegt durch das Wort "Augmenter", das jedem ausgestellten Werkzeug eingeschrieben war. Diese Arbeit kann gewissermaßen als eine Art Manifest im künstlerischen Gesamtwerk betrachtet werden.
Nicht nur ist das in Vilmouths Verhältnis zu den Dingen vorherrschende Prinzip deutlich hervorgehoben, es wird so auch jener Typ von Beziehungen offengelegt, den Vilmouth zum Publikum herstellen möchte: das Werk ist offen für eine endlose Anzahl von Deutungen. Tatsächlich wird diese Dimension bestätigt durch die Tatsache, daß jedem Hammer eine Uhr beigegeben war, die die Aufschrift "Local Time" trug: bei jeder Gelegenheit, bei der das Werk neu installiert werden sollte, sei es ganz oder in Teilen (2), würde somit Zeit gemessen in Beziehung zur Subjektivität solcher Vorstellung. In diesem Sinne wird jedes Objekt in unserer Umgebung zum Werkzeug, welches die Organisation der menschlichen Handlungen nachzeichnet. Dieses Displacement ist die Quelle für fortschreitende Untersuchungen, die man innerhalb des Kunstestablishment als einen Standpunkt des Realen benennen könnte. Es wirkt nicht so sehr als Repräsentationssystem denn als Möglichkeit, ein anderes Verständnis unserer Umwelt hervorzubringen.
In der Serie "Vues d'une chaise" wird Vilmouths Haltung gegenüber jenen Gelenken, die unsere Wahrnehmung der Dinge in unserer Umwelt bestimmen, schärfer: ein Stuhl wird zum Postulat für räumliche Untersuchungen. Dieses Möbelstück als gegebenen Standpunkt annehmend entwickelt sich als Strategie, welche dem "interactor" einen Reflexionstypus jenseits vorgefaßter Welt-Vorstellungen anbietet. Ein isolierter Baustein aus einem gegebenen Kontext bietet zahlreiche Vorstellungen und Verstehensweisen dieser Gelenke an. Es lohnt, die Medienbeschreibung in Vilmouths Werkherauszuheben: der Ort ist meist Bestandteil des Werkes und jedes Teil ist mit dem anderen durch ein "+" verbunden, wodurch die möglichen Verbindungen zwischen den verschiedenen konstituierenden Elementen einer Installation noch einmal betont werden. Entsprechend beschreibt jeder Titel für die verschiedenen vorhandenen Serien in Vilmouths Gesamtwerk einen besonderen Typ der von ihm erforschten Beziehungen: Discover (Entdecken), Rencontre (Begegnung), Confrontation (Konfrontation), Histoires (Geschichten), Habiter (Wohnen) unter anderem.
Vor einigen Jahren faßte Jean-Luc Vilmouth ein neues Konzept für Museumsbesuche ins Auge. Der Künstler entwarf eine andere Route für den Publikumstransport eine Straßenbahnlinie in Grenoble, die tatsächlich durch das Museum führen sollte (3). Dies hätte dem Pendler die Möglichkeit geboten, seine Erfahrungen mit einem schnellen Ausstellungsdurchlauf zu vergrößern. Eine ganz andere Annäherung an Seherfahrungen kann im Licht von Vilmouths Idee, den Wert von Werkzeugen zu steigern, gesehen werden. Die Straßenbahn als Transportmittel wird zum beweglichen Ort, von dem aus man ausgestellte Dinge betrachten kann. Die Erfahrung ist mehr dazu angetan, mit den anderen Passagieren geteilt oder diskutiert zu werden, da dies offensichtlich Reaktionen hervorrufen würde, wie sie für unvertraute Umstände typisch sind. Was Vilmouth über diese Störungen hinaus zu etablieren versucht, ist eine Produktion, die gewissermaßen Auslöser ist für einen ansonsten unwahrscheinlichen Dialog. In ähnlicher Weise bot er in seiner jüngsten Intervention im Musée d'Art Moderne in Paris den Besuchern an, Masken aufzusetzen, um mit dieser Verkleidung die Ausstellung zu besuchen. Jede dieser Masken war nach einem Tierkopf modelliert. Dieses Artefakt beim Gang durch die Ausstellung tragend, mochte der Besucher geneigt sein sich den anderen Besuchern näher zu fühlen, möglicherweise gar mit ihnen in eine Interaktion einzutreten und Erfahrungen zu vergleichen. Nicht nur, daß man seine Stellung im Verhältnis zu den anderen vorgestellten Werken verändert sah, vielmehr scheint die Vorstellung, so Kommunikationsfreiheit zu erzeugen, bedeutsam. Die Ausstellung war atypisch in dem Maße, als sie vom "Betrachter" mehr verlangte als übliche Ausstellungen, und die Maske half diesen Betrachtern gewissermaßen, ihre neue Identität zu nutzen und das Unbehagen zu durchbrechen, welches durch die kontextuelle Verschiedenheit erzeugt wurde; ebenso mochte sie vielleicht dazu verhelfen, das Unkomfortable des Unbekannten zu überspringen durch die Erzeugung eines Gemeinschaftsgefühls, welches die Leute ermutigte, sich in einem Forschungsklima zu sehen; man denkt auch an die Tiermasken als Anspielung auf mögliche Spontaneitätsdefizite, die eventuell zu Ärger oder heftigen Reaktionen bei der Konfrontation mit dem Unbekannten führen. Anklingen kann auch jene mangelnde Kommunikation des Menschen mit der Natur ebenso wie das konsequente Mißverstehen. Tier-Masken werden üblicherweise in Themenparks gefunden und sind üblicherweise für Kinder gedacht, damit sie Mickey Mouse oder irgend eine andere vermeintlich perfekte Darstellung von einer Natur kenenlernen, die dem mehr ähnelt, was menschliche Fantasie erzeugt, als ihrer Umwelt, in der sie zu leben haben. Mit dieser Intervention entwickelt Vilmouth jene Verschiebung der Seherfahrung weiter, die er mit seinen Cafés begann. Über des Künstlers Interesse an der Vermittlung einer wirklichen Interaktionsfläche für den Betrachter hinaus scheint er gleichzeitig den Besuch einer Ausstellung und die Erfahrung von Kunst zu verändern, womit er zugleich jene Art und Weise hinterfragt, in der dieser Typus von Produktion erwartungsgemäß zu funktionieren hat. Jedes Café, welches Jean-Luc Vilmouth bislang entwickelt hat, war darauf aus, eine schärfere Wahrnehmung unserer Umgebung aufzubauen. Das erste, "Café Whale Song", war mit viereckigen Tischen ausgestattet, auf denen der Künstler Fotos aus dem Umfeld des Walfangs ausstellte, welche mit Tonaufnahmen von Walgesängen konfrontiert wurden.
Ähnlich war die "Bar des acariens" ausgestattet, diesmal mit Blow-ups von Milben. Die jüngste Installation dieser Art wurde in Ost-Jerusalem gezeigt. Ihr Thema war der Olivenbaum als Symbol für Fruchtbarkeit in dieser ansonsten von Wüste überzogenen Region. Die Bar war als ein transkultureller Treffpunkt gedacht und erfüllte des Künstlers Erwartung: die Galerie wurde zu einer Art Niemandsland, in dem sich Palästinenser und Israelis versammelten und einen konstruktiven Austausch begannen.
Austausch findet gleichermaßen auf der Ebene des kreativen Prozesses statt; zu reden ist von der Zusammenarbeit mit anderen Berufsebenen, Wissenschaftsgemeinschaften, Architekten und Stadtplanern, oder Profis aus Vergnügungsparks. In dem Maße, als so versucht wird, den Standort der Kunst eher als inherenten Teil denn als gänzlich isolierte Praxis in der gesellschaftlichen Struktur neu zu definieren, kann dies möglicherweise als eine weitere Form von kontextuellem Bindeglied angesehen werden.Spekulativ ließe sich dies auch als ein klares Statement des Künstlers zur Einbringung einer anderen Dimension in seinen Kontakt mit dem Publikum betrachten; es entsteht ein anderer Blick auf eine gegebene professionelle Handlungsweise, indem eine andere Betrachtung ihrer Funktion offengelegt wird. Was man nunmehr entdeckt, ist, daß Vilmouths Werk sich stark mit Maßstab auseinandersetzt. Dies klingt vielleicht am deutlichsten in jener Serie von Tischen an, deren Oberfläche der Künstler nach spezifischen Wiedergaben des Oberflächenreliefs unseres Planeten modellierte, wobei er zugleich evozierte, daß der Boden unser "erster" Tisch war.
Der Künstler hat viele Projekte für den öffentlichen Raum erarbeitet; diese existieren gleichbedeutend als "Projekte" in Galerien wie im "großen Maßstab". In diesem Sinne ist jedes Werk ein Werk für den öffentlichen Raum, unabhängig von seinem Ort oder seiner Erscheinungsform. Aus diesem Grund ist vermutlich auch keine seiner großformatigen Außenarbeiten je monumental. Die ihnen innewohnende Qualität ist die immer gleichbleibende Qualität von lebendigen Werken.
Klar erkennbar wird des Künstlers Interesse daran, Kunst als Gesichtspunkt, als Gegengesichtspunkt oder Standpunkt zu bestimmen. Sein Umgang mit den Gegebenheiten in diesem Arbeitskontext veranlaßt ihn dazu, Werke zu schaffen, die sich im Werk wirklich auf möglichst viele verschiedene Parameter einer vorhandenen Situation beziehen: Geographie, Geschichte, Volk, räumliche Eigenschaften.
"Wenn das Wasser grün wird..." beleuchtet ziemlich klar die Art und Weise, wie er seine Rolle als die eines Enthüllers definiert: auf beiden Ufern des Jordan suchte der Künstler jenen Platz aus, welcher geeignet ist, eine möglichst ursprüngliche Beziehung zum Wasser als einem Element herzustellen. Der Jordan ist über seine Bedeutung als Grenze zwischen zwei Territorien hinaus vor allem und zuallererst eine grundlegende Quelle des Lebens. Die Installation suggeriert auf sehr klare Weise die Notwendigkeit, den Fluß zu teilen, anstatt darum zu kämpfen: auf jeder Seite bietet ein Belvedere den Blick auf eine Inschrift, deren Text in der Sprache des je anderen Volkes "Als das Wasser grün wurde" lautet. Die Jordanier können dies auf hebräisch lesen, und die Israelis finden sich vor der arabischen Übersetzung des Satzes. Ein ähnliches Spiel mit dem Spiegel oder der Kehrseite zeigt sich in "Comme deux tours", bestehend aus zwei Industrieschloten, die die industrielle Vergangenheit einer französischen Kleinstadt symbolisieren. Der Künstler verändert ihre Bedeutung, indem er sie zur Grundlage für ein weiteres Belvedere werden läßt, welches die Stadt beherrscht. Es geht weniger darum, von der Stadt aus auf die Türme zu blicken, denn darum, die Beziehung zur Landschaft durch Errichtung der notwendigen Distanz neu zu gestalten, um so mit anderen Augen auf die täglißche Routine blicken zu können.
Indem Jean-Luc Vilmouth die Fiktion als Form menschlicher Konstruktion zur Richtschnur wählt, nimmt er die Haltung eines imaginären oder Meta-Anthropologen ein, dessen Ziel es sein könnte, ein gemeinsames Bewußtsein für die fiktionale Natur in unserer täglichen Umgebung zu schaffen. Wiewohl er gleichsam wie ein Detektiv vorgeht, versucht er doch eher zu zeigen, in welchem Maße die Erforschung der Ursprünge eines Prozesses der Bedeutungsentstehung ebenso vielschichtig ist wie die Zahl der Annäherungsmöglichkeiten. Man könnte seine Vorgehensweise auch mit der eines Genealogen vergleichen, dessen Aufzeichnungen nichtsdestoweniger den fiktionalen Aspekt linearer Konstruktionen enthüllen würden. "Um die Aufmerksamkeit von Kindern zu gewinnen, erzählt man ihnen Geschichten. Das mag möglicherweise auch später tauglich sein..." sagte der Künstler einmal.

Anmerkungen:

1) Aus einem Interview mit Francoise Prodhon in Flash Art International .
2) Die Arbeit war darauf angelegt, auf der Basis von Einheiten verteilt zu werden, die jeweils aus einem Paar der Objekte bestanden.
3) Es handelt sich um ein Projekt für Le Magasin, ein Museum zeitgenössischer Kunst, das sich in alten Industrielagerhallen befindet. Es ist interessant, auf die Vergangenheit des Gebäudes hinzuweisen. Sehr wahrscheinlich gab es früher Transportmittel durch das Gebäude. Das Projekt wurde nicht realisiert.
4) ibid. 1

Leider liegt der englisch erschienene Text von Benjamin Weil nur in der äußerst mangelhaften Übersetzung von Sue Picket vor.