Galerie Hubert Winter

Mary Ellen Carroll
THEIR TABLE IS TOO LONG
29. Oktober – 10. Dezember 2022
E. The artist propagates billions of pairs of human reproductive cells to drift throughout the intergalactic space of the entire universe. Those cells which enter life-supporting heavenly bodies, in randomly-encountered galaxies, will grow into independently existing worlds.
July, 1970
Die letzten Zeilen. In: (Donald) Burgy, Art ideas for the Year 4000. Andover, Addison Gallery of American Art, 1970

Galerie Hubert Winter freut sich, die sechste Ausstellung der in New York lebenden Konzeptkünstlerin und Aktivistin Mary Ellen Carroll in der Galerie anzukündigen – THEIR TABLE IS TOO LONG (IL LORO TAVOLO È TROPPO LUNGO). Sämtliche präsentierten Werke entstanden 2022 in Rom, wo Carroll Preisträgerin und Stipendiatin des Cynthia Hazen Polsky und Leon Polsky Preises der American Academy in Rom war. Im Zuge einer dortigen Residency führte Carroll Recherchen durch und schuf neue Werke, um bestehende Serien zu erweitern, die den Leitmotiven des seeing things as they are, und dem ethically imagined folgen, wie sie von einer wiederholten Gesprächspartnerin Carrolls, der kenianischen Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor, formuliert wurden. Das Politische/Soziale konkurriert darin gleichwertig mit der laufenden Auseinandersetzung mit Infrastruktur, Technologie, Klima und Migration.

Seit mehr als drei Jahrzehnten beschäftigt sich Carroll mit einer einzigen, grundlegenden philosophischen Frage: Was betrachten wir als Kunstwerk? Sie bewegt sich geschickt zwischen groß angelegten architektonischen Interventionen, experimentellem Film, inszenierten Events, Skulptur, Fotografie und Buchprojekten – dabei verleiht Carroll all ihren Arbeiten einen stark performativen Charakter. Ihr Werk befragt die Beziehung zwischen Subjektivität, Sprache und Macht. Der Begriff der Repräsentation und Identifikation steht seit jeher im Zentrum von Carrolls Schaffen, ebenso wie ihr Engagement für eine politische und soziale Kritik, die sie bewusst ohne eine bestimmte (künstlerische) Handschrift entwickelt.

Die Neonarbeit SPECIAL, SUPER SEEING steht am Anfang der Ausstellung und schlägt eine Brücke zwischen dem Innenraum der Galerie und dem Außen des öffentlichen Raumes. Durch die zirkuläre und abwechselnd sequenzielle Lesart: WHICH IS—NOT IS—WHICH IS—NOT IS eröffnet das Werk einen dialektischen Raum, in dem sich die Ausstellung entfaltet. Malereien, bestehend aus Silber und Bitumen, die auf die Leinwand aufgetragen wurden, erwecken einen objekthaften Eindruck. Die Materialspezifikation von Bitumen – einem harzigen Derivat von Öl – und Silber, provozieren dass die Arbeiten in einem ständigen Zustand von Aktion und Reaktion verweilen. Die Oberfläche der Werke unterliegt den vorherrschenden Bedingungen und somit einer ständigen Veränderung, die durch die sie umgebende Atmosphäre ausgelöst wird. Die Werke selbst fungieren als Abgrenzung von Raum und Zeit im Maßstab 1:1, wobei sie auch den Spiegel oder die Seiten und deren Spiegelung im Sinne der Dialektik reflektieren.

Eines dieser Gemälde mit dem Titel é stato così (it was like that) ist ein Diptychon in Moll-Tonart zu Natalia Ginzburgs gleichnamigem Roman. Es ist ein laterales Werk als Verpflichtung zu handeln und zu tun, was man tun will, im Gegensatz zu dem, was man zu tun meint. Das Werk verweist auch auf Thomas Bernhards Wittgensteins Neffe und die Autonomie des Kunstwerks sowie die des*r Künstler*in; weiters auf die Sarkoidose, die seltene unheilbare Krankheit, die Bernhards Leben beeinflusste und an der er schließlich starb.

In Anlehnung an das 2012 in New Orleans begonnene Projekt PUBLIC UTILITY 2.0 setzte Carroll in PUBBLICA UTILITÀ DUE die Arbeit am nicht sichtbaren Raum für Funkfrequenzen fort. Der Raum und das Material ungenutzter, unlizenzierter Radiofrequenzen wird dabei im Sinne einer Form der Land Art des 21. Jahrhunderts architektonisch gestaltet und programmiert. Die Ausstellung umfasst Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Serie FM, die in Santa Maria di Galeria aufgenommen wurden, dem Ort, an dem erstmalig die Funkübertragung durch Guglielmo Marconi stattgefunden hat. Die Fotografieren dokumentieren den historischen Ort und die Entwicklung der Arbeit des italienischen Kommunikationspioniers Guglielmo Marconi, der maßgeblich für transatlantische Übertragung von Radio und Fernsehsignalen wurde, und der für den Aufbau der Telekommunikationsabteilung des Heiligen Stuhls in Rom verantwortlich war.

Anlässlich der Eröffnung kooperiert Mary Ellen Carroll mit dem österreichischen Komponisten und Musiker Rupert Huber für die Performance mit dem Titel The Wrong Door, die sich auf das Werk und Leben von Natalia Ginzburg bezieht, einer italienischen Schriftstellerin, Politikerin und Antifaschistin. Die Performance wird zum ersten Mal als Work in Progress öffentlich präsentiert.

The Wrong Door

Performance
Rupert Huber live
FM by Mary Ellen Carroll / MEC, studios

Rupert Huber ist ein österreichischer, in Wien lebender Komponist, Musikkünstler und Musiker. Die Musik von Rupert Huber besteht aus organisierten Strukturen, Klängen und Tönen für verschiedene bekannte und unbekannte reale und elektronische Räume: Dimensional Music. Er ist auch bekannt für seine Gruppe TOSCA – zusammen mit Richard Dorfmeister – die in den letzten 20 Jahren 14 Alben veröffentlicht hat.