Galerie Hubert Winter

Danica Phelps
21. Februar – 16. März 2019
„Es ist bedauerlich“, sagte ich, „dass das Leben doch nur ein einziger Kampf ist.“
„Da bin ich deiner Meinung. Aber das Bedauern überlasse ich dir“, sagte Simpel.
Die letzten Zeilen. In: Langston Hughes, Simpel spricht sich aus. Roman. Dt. v. E. Steinthaler. Wien, Milena, 2009

“Mit dem Begriff Biokapitalismus meinen wir einen Akkumulationsprozess, der nicht nur auf der Ausbeutung des Wissens, sondern aller menschlichen Fähigkeiten, von relational-linguistischen bis hin zu affektiv-sensorischen, beruht. […] In der Gegenwart erleben wir auf andere Weise eine Bewertung des Lebens des Subjekts und eine Betonung der Rolle der Beziehungen, die direkt in das Innere der Produktion fließen.”¹

Danica Phelps (* 1971, New York) thematisiert in ihren Arbeiten die Performance des Biokapitalismus. Das gesamte Leben wurde in der Produktion von Wert subsumiert: es erscheint unvorstellbar Arbeitszeit von Lebenszeit zu unterscheiden. Wert erwächst aus einem Netz von Erfahrungen, Beziehungen, allgemeiner gesprochen, aus dem Potenzial der Subjekte und nimmt weiter zu in Abhängigkeit der Fähigkeit der Subjekte “monetisierbare“ Transaktionen zu generieren. Jedes Subjekt wird zu einem Knotenpunkt im Netzwerk des “general intellect”², der die Wirtschaftsflüsse mit Verlangen verbindet. Die Produktionsprozesse sind immer mehr zu Produktions- und Reproduktionsprozesse des Selbst ³ geworden, daher berücksichtigt Phelps diese Prinzipien und verwendet sie, um sie klar zu manifestieren und sie von innen heraus zu zerlegen. Sie macht sich damit die Subsumptionsmaschinerie zu eigen und kehrt sie um zu einem kontinuierlichen Weg der Selbst- und kollektiven Ermächtigung.

Die Galerie Hubert Winter präsentiert zwei Serien der Künstlerin, die sich um Ökonomie drehen und daher den Wertakkumulationsprozess metabolisieren. Sie bilden lebendige Archive von Erlebnissen, Erinnerungen, Geldströmen und Genealogien. In Income´s Outcome stellt die Künstlerin (auf organische Weise) alltägliche Episoden ihres Lebens und ihres Geldflusses dar - das ist in der Tat Bioökonomie - und hebt somit die unvermeidlichen, oft unausgesprochenen Verbindungen zwischen ihnen hervor. In einem einfachen und erkennbaren System, das auf hölzernen Tafeln befestigt ist und Erinnerungen an Alltagsmomente in Zeichnungen festhält, erweitert sie dieses am unteren Rand mit Aquarellstreifen, die auf eine standardisierte Kodierung zurückgreifen, die den Farben im Finanzwesen entspricht. Phelps hält in einem roten Strichcode fest, wie das Geld ausgegeben wurde und in grün, wie es eingenommen wurde (inklusive wo, wann und an wen die Arbeit verkauft wurde). Die Buchführung selbst hat viele Konsequenzen: Wenn die Zeichnung verkauft wird, fertigt Danica Phelps eine Kopie auf Transparentpapier an – somit entsteht eine neue Generation derselben Arbeit, bei der der Finanzteil die Informationen bezüglich des Geldflusses enthält (weitergereicht mit jeder neuen Generation). Es ist eine Art Kettenreaktion. Wann immer der Markt auf ihre künstlerische Produktion reagiert, fördert er eine weitere Entwicklung der Wertakkumulation, aber zugleich wird die Einzigartigkeit des Kunstwerks in gewisser Weise annulliert. Die Arbeit wird nach einem Standardprotokoll vervielfacht und behält dennoch die Unterscheidungskraft ihrer eigenen Genealogie (ein Verkauf bedeutet eine neue Generation, was weitere Informationen bedeutet, also Wertakkumulation usw.). Auf diese Weise deckt Phelps nicht nur explizit die Mechanismen der Wertschöpfung auf, sondern spürt ihr nach, indem sie sie immer wieder neue Werke erzeugt. Die Komplexität ihrer Praxis liegt in der Einfachheit der “tracings”, die gleichzeitig Zeichnung und Aufzeichnung sind: Phelps konzipiert eine unfehlbare Möglichkeit, Erinnerung zu generieren. Obwohl ab der ersten Generation alle Elemente in ihren Werken (der Wert der Währung sowie die Körper und Objekte, deren ununterbrochene Konturen ein Gefühl von Transparenz vermitteln) aus der gleichen - auch wenn nicht ganz greifbaren – Materie zu bestehen scheinen, präsentiert Phelps mit mathematischer Präzision die Handlungen ihres Alltags, ihre Ökonomie in genetisch ähnlichen Sequenzen. Die Subjekte ihrer Zeichnungen sind entweder Personen, die der Künstlerin nahestehen, oder die Künstlerin selbst. Daher können die Betrachter*innen sich mit den Figuren ihres Alltags vertraut machen, sich in ihnen und in ihren Handlungen erkennen, sich an sie gewöhnen, sich wohl fühlen, sich von ihnen faszinieren und überraschen lassen, wie es bei alten Freunden passiert. Phelps schafft somit nicht nur Generationen von Alltagsritualen, sondern auch ein Netzwerk von gemeinsam genutzten Subjekten. Der Übergang vom Subjektiven zum Kollektiven nimmt eine andere Wendung in der kürzlich entwickelten Serie Gratitude Project (seit 2017). Phelps versteigert ihre Zeichnungen, um durch ihre künstlerische Praxis NGOs zu unterstützen, die diverse politische Motivationen vertreten und auch ihren eigenen Überzeugungen entsprechen (von Menschenrechten bis zu Umweltfragen, von Bildung bis zu Arbeitsbedingungen). In dieser Serie verbindet die Künstlerin ihre täglichen Aktivitäten mit denen der Organisationen, für die sie das Geld aufbringt. Von Nachrichten im Radio bewegt, begann sie, dieses Projekt zu entwickeln, das im Rahmen der (globalen) Wirtschaft zeigt, wie alles miteinander verbunden ist und wie jede Existenz das Leben anderer Menschen beeinflusst.

In der heutigen Zeit wurde der Wert des Lebens überworfen, es wird nicht kommerzialisiert, sondern “finanzialisiert”. Es vollzog sich ein Transfer von der wirtschaftlichen Ausbeutung des Bios - des menschlichen Lebens, das beginnt und endet - zur Ausbeutung der Zoë – des Lebens an sich.4 In der Ausstellung balanciert Phelps verschiedene Perspektiven aus, fokussiert gleichzeitig das Mikro- und das Makroskopische, das Private und das Öffentliche und rekonfiguriert sie durch ihre Zeichnungen. Sie übernimmt damit die Möglichkeit, Widerstand gegen die Kapitalisierung von Bios und Zoë zu schaffen. In ihren Arbeiten rücken die Hände oft überdimensioniert in den Vordergrund. Sie betonen die Bedeutung des (manuellen) “Tracings”, Aufzeichnens, Merkens und Handelns, auf eine nicht standardisierte Weise.

1. Cristina Morini und Andrea Fumagalli, “Life put to work: Towards a life theory of value,” ephemera. theory & politics in organization [vol. 10 (3/4)]: 234-252
2. Siehe Karl Marx “Maschinenfragment.” Unter “general intellect” versteht man “das allgemeine Wissen als unmittelbare Produktivkraft”
3. Siehe Fußnote 1
4. Siehe Melinda Cooper, Life as surplus: Biotechnology and capitalism in the neoliberal era (Seattle: University of Washington Press, 2008)