Galerie Hubert Winter

TIEFE ZEIGT SICH AM BESTEN AN DER OBERFLÄCHE

Ausschnitte aus einem Gespräch zwischen Urs Lüthi und Patrick Frey vom 12. Februar 1991.

Patrick Frey
Du erwähntest die triviale Ästhetik, die du früher im Sinne einer Popularisierung oder einer Ironisierung verwendet hast, um eine Art Gefälle zur Hochkunst herauszustellen; dass du jetzt aber in den neueren Arbeiten dieses Triviale eher in den Dienst einer gewissen Spezialisierung stellst, um spezifische Wirkungen zu erzeugen. Dass du also vergrösserte Fotos hinter hinter Glas zeigst oder edle Lackrahmen verwendest, dass das nicht nur eine sehr fragile, sublime und delikate Wirkung erzeugt, sondern dass durch den Glanz und weitere Attribute einer stark betonten Oberflächlichkeit auch auf Gegenstände aus der industriell hergestellten Trivialkultur verwiesen wird, wie etwa auf Displays u.a., dass es dir heute darum gehe, mit gewissen Wirkungen sehr präzise umzugehen...

Urs Luethi
Ich versuche heute, diesen trivialen oder banalen Gegenständen eher Würde zu verleihen als sie der Lächerlichkeit preiszugeben oder sie zu ironisieren...Ich versuche ernsthaft und würdevoll mit ihnen umzugehen. Das Triviale zu
erheben anstatt zu diffamieren.

P.F.
Hast du die trivialen Dinge denn je diffamiert?

U.L.
Diffamiert nicht, aber ich habe sie ironisch, als Zitate, verwendet.

P.F.
Worauf führst du diese Wandlung zurück?

U.L.
Darauf, dass es mir heute nicht mehr reicht, die Dinge zu kommentieren oder festzustellen, dass die Dinge so sind, wie sie sind... Ich will die Dinge verändern, sie in eine Form bringen, in der ich zu ihnen stehen kann, wo ich sagen kann: so wie diese Sache ist, ist sie gut oder in Ordnung. Anders gesagt, es reicht mir nicht mehr zu sagen: die Welt ist hässlich, dieses oder jenes Ding ist hässlich, hat zwar einen gewissen Charme und so weiter, sondern ich will als Künstler aus meiner Sicht auf die Welt eigene Werke herstellen, von denen ich glauben kann, daß sie ästhetisch und inhaltlich tragend sind, von denen ich auch glauben kann , daß sie beispielhaft wirken können. Ich meine, daß wir Künstler heute Dinge herstellen müssen, die sehr sorgfältig mit dem umgehen, was sie beinhalten, sorgfältig und differenziert bearbeitete Dinge, die bestehen können. Es kann nicht darum gehen, etwas herzustellen, das man ebenso schnell wieder wegwirft (verwirft). Ich beziehe dies ganz allgemein auf ästhetische Äusserungen, die man in die Welt setzt.

P.F.
Du willst also nicht mehr Materialien gebrauchen oder Gegenstände einsetzen, bei denen eine Zwei- oder Mehrdeutigkeit, eine ironische Brechung enthalten ist...

U.L.
Doch, Eindeutigkeit würde ja einen objektiven Standpunkt voraussetzen, an den ich aber grundsätzlich nicht glaube. Da für mich jedes Ding, jede Äusserung mehrdeutig ist, suche ich verstärkt eine möglichst "eindeutige" Formulierung. Je klarer und präziser die äusserste Schicht, desto klarer(eindeutiger) werden auch die darunterliegenden sichtbar werden.

P.F.
Wie stellst du dich denn zu einer hyperkühlen Produkt-Kunst, à la Jeff Koons etwa?

U.L.
Da steht eine mir völlig entgegengesetzte Haltung dahinter. Bei Koons werden die Dinge noch monströser, als sie es schon sind. Das heisst, er zeigt den Schrecken...

P.F.
Wobei Koons ja auch triviale Alltagskunst gewissermaßen in den Hochkunstbereich verschiebt, hinaufhebt...

U.L.
Ja er hebt sie hinauf, läßt ihnen aber bewußt das Monströse. Er zeigt das negative Bild der Welt. Ich verwende die trivialen Dinge ganz anders. Ich begegne ihnen liebevoll. Ich weiss um ihre erbärmliche Existenz. Ich weiß von ihren Sehnsüchten nach dem Großen, Erhabenen. Sie sind das beste Äquivalent zur menschlichen Seele, das ich kenne. 

P.F.
Diese Formel, dem Bedeutungslosen, Banalen bedeutung und Daure zu geben, gilt die wirklich immer noch? Ich denke an gewisse Bildgegenstände wie Geldscheine oder Globen...
Ich gehe heute vom Kleinsten, Geringsten und zugleich vom Größten, anders gesagt, vom Allgemeinsten und vom Persönlichsten aus, weil ich immer mehr daran glaube, daß es sich dabei in gewissem Sinne um etwas Gleiches handelt. Ich mache so etwas wie Mikro-und Makrobilder von an sich polar entgegengesetzten Dingen, die sich aber -erschreckend- ähnlich sind.

P.F.
Insofern sind also auch die Bronzebüsten deines eigenen Kopfes, diese Lebendabgüsse mit ihrer präzise eingefrorenen mimischen Bewegung, Ergebnisse eines sehr konsequenten Weiterdenkens an der erwähnten Formel, insofern als daß hier ein so extrem flüchtiges und persönliches, ja privates Ereignis wie ein transitorischer Gesichtsausdruck nicht mehr nur in Form einer fotographischen Pose festgehalten wird, sondern tatsächlich in künstlerisch höchst edlem Metall in seine quasi "ewige" Form gegossen wird.

U.L.
Durch diesen Prozeß einer Art Versteinerung wird so etwas wie ein Kopf mit persönlichsten Gesichtsausdruck auf einmal allgemeingültig und typisch. Es gibt wohl kaum etwas anonymeres und traditionelleres als eine Bronzebüste... Andererseits dann der umgekehrte Weg vom Allgemeinsten zum Persönlichen, wenn ich ein Ornament, ein abstraktes Ordnungssystem ins Bild setze, dieses aber mittels Farbgebung und der Wahl eines bestimmten Ausschnittes, also mit einer persönlichen Manipulation zu einem individuellen, besonderen Bildzeichen umwandle. Mir fällt dazu dieser unwahrscheinliche wissenschaftliche Film ein, wo auf einer Wiese ein Pärchen auf einem Badetuch liegt und die Kamera aus der Normalperspektive Stufe um Stufe bis in planetarische Ferne fährt und dann wieder zurück bis in mikroskopische Nähe und in die Körper hinein in den molekularen Bereich, und wie sich eben da die molekularen und die planetarischen Bilder ähnlich sind. Ich denke auch an die Schrift "Die Technik und der Mensch" des Religionsphilosophen Guardini, der sagt, dass es immer zwei Wege ins Wesen der Dinge gebe, den über das Allgemeine und den über das Besondere, und dass man den einen Weg nicht ohne den anderen gehen könne. Ich denke, dass sich diese Dinge in meiner Arbeit wiederfinden.
Ich glaube, dass das Individuelle der Filter ist für das, was wir das Bewusstsein nennen, dass es also eine objektive Wahrnehmung nicht geben kann. Das ist der Grund dafür, dass ich mich in meine Arbeit einbringe, und dass ich jede Entscheidung, wie etwas beschaffen sein muss, auszusehen hat, nächstmöglich, von mir aus treffe. Dies ist gewissermassen nicht eine freiwillige Entscheidung, sondern ich glaube, dass jeder Mensch so verfährt, so verfahren muss.Anders gesagt: gegenüber den Informationen, die auf uns einströmen, gibt es keine objektive Wahrnehmung, weil wir von immer weniger Dingen wirklich etwas verstehen.Wir nehmen also das wahr, was unser momentaner Bewusstseinszustand zulässt.

P.F.
Mit dem Einbezug der eigenen Figur, des eigenen Kopfes erreichst du ja auch etwas anderes; du schaffst einen erleichterten Einstieg ins Werk für das jeweilige Selbst des Betrachters, so wie der Mönch bei Caspar David Friedrich...

U.L.
Das dachte ich anfangs auch, habe dann aber schnell gemerkt, dass dies den Einstieg auch erschweren kann, wenn die Leute die Selbstdarstellung als Verdoppelung des Betrachters verstehen. Mein eigenes Bild ist ja nicht nur dazu da, dem Betrachter den Einstieg zu erleichtern, sondern ist auch ein autonomes Bild oder Skulptur. Also in erster Linie ein Gegenüber, vielleicht ein Spiegel.

P.F.
Es besteht natürlich auch die Gefahr, dass du ein quasi hermetisches System schaffst, aus dem ein Betrachter sich ausgeschlossen fühlt, ganz besonders bei deinen neueren Installationen, bei denen Bildwerke mit Bronzebüsten zusammen auftreten. Es besteht die Möglichkeit, daß durch die Präsenz der plastischen Selbstporträts mit ihrer individuell / kollektiven Mimik gegenüber Bildserien, wie etwa der "Nature Morte" bereits so etwas wie eine bestimmte, beispielhafte Haltung - die Haltung des Autors - vorgegeben wird und damit eben auch ein bestimmter bedeutungsmäßiger Kommentar. Auch eine - in bezug auf die Darstellung von Geldscheinen oder Münzen - räumlich indirekte Anwesenheit jener Köpfe, die sich mit dem Gesicht zur Wand kehren, kann die Wirkung eines inhaltlichen kommentars erzeugen, der vielleicht den freien Assoziationsfluß eines Betrachters einengen könnte.

U.L.
Das sind zwei verschiedene Arbeiten, in der Geldserie kommen die Bronzeköpfe nicht vor, sie befinden sich in einem anderen Raum; bei den beiden Geld-Tryptichen erscheint das Selbstporträt zentral als Fotographie eines Bronzekopfes im Profil mit darüberliegenden Kreuz - beziehungsweise - im Falle der Münzen einem Kreisornament. Insofern ist also der Kopf da, aber nicht als Büste im Raum, sondern als Gesicht, dessen Blickrichtung genau auf der Bildebene selbst liegt.

P.F.
Es bleibt aber dennoch die Wirkung eines persönlichen exemplarischen Kommentars, die Anwesenheit einer Haltung in dem moment, wo du deine eigene Person ins Spiel bringst.

U.L.
Das finde ich ja auch gut; natürlich wirken psychologische Aspekte mit, vielleicht aber eher im Kopf des jeweiligen Betrachters...

P.F.
Es geht mir aber mehr um die Frage nach der Haltung des Autors, die ins Spiel kommt, weniger um eine psychologisierende Betrachtung. Ein Bronzekopf, der gegen die Wand blickt, ist nicht nur eine Rauminstallation, die Ruhe und Konzentration erzeugt, sondern stellt auch eine mögliche Antwort auf die Frage nach einem bestimmten Weltverhältnis dar.

U.L.
... Abwendung, Ab- oder Einkapselung, das ist schon gemeint, aber in einem sehr allgemeinen Sinne, einer Erfahrung von Ruhe von Kontemplation. In meiner Arbeit ist der Mensch das zentrale Thema. Er ist das eigentliche Mittel, mit dem ich arbeite. Ich verwende dieses Mittel aber in sehr unterschiedlichen Weisen. Ein Kopf ist nicht nur ein Mensch, er ist auch Form, Volumen, ist also auch abstrakt zu sehen.

P.F.
Das ist gleichsam die eine Seite der Problematik; die andere betrifft dieses Hermetische einer künstlerischen Arbeit. Hermetisch ist ja auch eine Formel oder ein Gebilde, indem größtmögliche, allseitige Offenheit herrscht, so wie ein allgemeinster Code, der auf vielerlei Arten zu lesen, zu interpretieren ist, weil er keine Decodierung determiniert, und der gerade in dieser absoluten Offenheit zum unauflösbaren Rätsel wird, zur sich verschließenden Geheimformel. Deine äußerst allgemeine, scheinbar vollkommen unpersönliche Darstellung von Geldscheinen und Geldmünzen hat etwas von einer derartigen rätselhaft sich verschließenden Offenheit.

U.L.
Vollkommen unpersönlich ist höchstens das Sujet des Geldes, aber ich verwende für meine Arbeit fast ausschließlich klichierte (triviale) Sujets. Aber es gibt ja nicht nur die Sinn-Seite von Geld , sondern auch die Sinnlichkeit der Objekte, ich nehme wahr, was sich aus den Gelddingen für wunderbare Kompositionen machen lassen, die ich zu anderen formalen Systemen, etwa der Ornamentik, in bezug setzen kann. Darüber haben wir am Anfang unseres Gespräches schon geredet. Ich gebe den Dingen erst durch die Zusammenhänge, in die ich sie stelle, die Würde, von der ich anfangs geredet habe.

P.F.
Da ist aber noch ein Titel, "Nature Morte", der im Zusammenhang mit der Geldserie auftaucht, da ist ein Kreuz- und ein Kreisornament: imGegensatz etwa zu deiner malerischen Phase scheinst du im Moment von einer präzisen formalen und inhaltlichen Bildplanung auszugehen. In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, was dieses inhaltliche "Feld" mit den Elementen "Nature Morte", Kreis-Kreuzornament und Geld für eine Entstehungsgeschichte hat.

U.L.
Vielleicht nur in Stichworten: Die einzelnen Bildelemente, die Geldscheine und -münzen, die Köpfe, die Köpfe mit den Ornamenten, sind tatsächlich Stilleben, im klassischen Sinn. Nichts davon zeigt lebendige Natur. Dann interessiert mich Geld als der vielleicht größte und stärkste kulturelle Zusammenhang auf der Welt, als verbindlichste Sache der Welt. Es gibt wohl kaum ein Motiv, das eine derart allgemeinverbindliche Bedeutung hat. Dann gab es natürlich auch die Assoziation "tote Natur", aber auch die Tatsache, daß Geld ein außerordentlich starkes Bildmittel ist.

P.F.
Geld ist ja sogesehen auch das Ornament der Macht...

U.L.
Ja, Geld ist einfach eines der stärksten Symbole für Luxus, Macht, aber auch Armut.

P.F.
Die allgemeine Darstellung von Geld wäre, für sich genommen, eigentlich banal; mir scheint, daß vor allem die formal hergestellte Beziehung zum Ornament ein neues Bedeutungsfeld öffnet.

U.L.
Ornamente haben ja immer einen Positiv-Negativ-Effekt; in den Schnittstellen der Kreise entstehen negativ definierte Viereckflächen, in den Schnittstellen der Kreise entstehen Blütenformen. Diese formale Ambivalenz ist ein wesentlicher Aspekt von Ornamenten. Zugleich bedeutet eine Verbildlichung von Ornamentik den Versuch, Ordnungssysteme zu finden, und das Geld hat ja auch die wesentliche Aufgabe, Wertvorstellungen in ein Ordnungssystem zu bringen. In diesem Sinne haben die beiden Dinge sehr viel miteinander zu tun, obwohl das eine natürlich ein hochmaterielles und das andere ein geistig-ästhetisches Ordnungsprinzip verkörpert...

P.F.
Du setzt heute Techniken wie Hinterglasmalerei, Glasätzung und Lackierung ein; der Glanz und die Glattheit der Oberflächen hat sich verstärkt, verdichtet...

U.L.
Die Fragilität wird dadurch spürbarer. Tiefe zeigt sich oft am besten an der Oberfläche, daß heißt, um Emotionen zu zeigen, muß man sie erst in eine Form bringen. Emotion an sich hat noch keine Form. Dasselbe gilt für den sehr strapazierten Begriff der Poesie.