Galerie Hubert Winter

Laura Ribero. Von hier kommt man nicht mehr weg.
Mark Peschke — In: Kunsttermine, Nov. – Jan. / 4. 2007, p 34-39. Brouwer Vlg.. 2007

Laura Ribero, 1978 geboren im kolumbianischen Bogotá, arbeitet als Fotokünstlerin stets in Serien. Nach dem Kunst-Studium in Bogotá und Barcelona entstanden in den vergangenen Jahren Arbeiten, die zu den eindringlichsten der jungen zeitgenössischen Fotografie gehören: Die 19teilige, zwischen 2004 und 2005 im Rahmen eines Atelierstipendiums in Essen entstandene Serie 'Looking for Wonderland' etwa, nimmt sich Lewis Carrolls 'Alice im Wunderland' als Vorbild und macht auf diese Weise das Sozialgefälle in Essen zum Thema. Soziale Wirklichkeit, welche die Kolumbianerin tagtäglich auf der Fahrt mit der Straßenbahn erlebte: Es sind die Umbrüche innerhalb einer Stadt, die Veränderungen der nachindustriellen Ruhrgebiets-Topografie am Beispiel des von Zechen-Schließungen betroffenen Stadtteils Essen-Katernberg, welche Ribero in ihrer fotografischen Feldforschung interessieren.

Laura Ribero. Electro domestiqua
'Electro-doméstica #3' (series of 9 photos) 2003/04, 32,5 x 49,5 cm

In 'Looking for Wonderland' zeigte sie, wie Andreas Dunkel geschrieben hat, 'Zwischenräume der Ortlosigkeit und Unbehaustheit', Unorte des urbanen Lebens, Randbereiche, Randzonen, Rückseiten. Eine Welt des Unterwegs-Seins, das die in Südamerika und Europa lebende Künstlerin selbst kennt. Eine Welt, in welcher viele der fotografisch inszenierten jungen Migranten und Migrantinnen - zwei Frauen etwa, die auf stillgelegten, überwucherten Gleisen sitzen und Tee trinken - ihren Platz nicht gefunden haben - entfremdet sind, wie Ribero sagt: 'Es ist ein bisschen wie bei Alice im Wunderland. Die Menschen träumen von einer perfekten und neuen Welt und finden nicht hinein.'.
Riberos Fotografie ist stets ein Hybrid aus einer dokumentarischen Perspektive - stets will sie zeigen, was tatsächlich da ist - und einem zweiten Strang, der die reine Dokumentation ins Erzählerische, Poetische und Interpretative erweitert. Auch die Literatur hat ihren Platz in dieser Kunst. Die Art, wie Ribero die Bilder der Serie 'Looking for Wonderland' mit Zitaten aus 'Alice im Wunderland' kombiniert, lässt an Bild-Text-Arbeiten von etwa Tracey Moffatt oder auch Duane Michals denken, einem Pionier der fotografischen Inszenierung, der seit den sechziger Jahren Schwarzweißfotografien zu persönlichen, biografisch gefärbten Foto-Text-Emblemen montiert hat - seinen Bildkompositionen Texte beigibt, die den Betrachter in die Bildwelt einführen und Deutungen nahelegen.
So ist es auch bei Ribero, etwa, wenn sie unter das Bild der verschleierten Teetrinkerinnen auf den stillgelegten Gleisen die Carroll-Zeilen setzt: 'Kein Platz mehr!', riefen sie Alice entgegen.' Kein Platz mehr. Kein Platz mehr hier für Euch! Deshalb findet das Leben dieser Frauen, so suggeriert die Arbeit, auch auf einem toten Gleis statt. Hier stört kein Zug. Aber von hier kommt man auch nicht mehr weg.

Laura Ribero. Electro domestica II
'Electro-doméstica #1' (series of 9 photos) 2003/04, 32,5 x 49,5 cm

Duanes Diktum 'Ich war unbefriedigt mit dem Einzelbild, weil ich es nicht zu einer weiteren Aussage umbiegen konnte. In einer Sequenz deutete die Summe der Bilder an, was ein einzelnes nicht zu sagen vermag' gilt ebenso für Riberos 9teilige Fotoarbeit 'Electro-doméstica', die vor kurzem beim 2. Internationalen Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg im Wilhelm-Hack-Museum zu sehen war. Auch sie ist ein Beispiel für Riberos concerned photography, einer Fotografie, welche sich in hohem Maße als Seismograph soziologischer Veränderungen und Irritationen begreift.
Schon in ihrer Diplomarbeit dokumentierte Laura Ribero teilweise verlassene, heruntergekommene Wohnviertel Barcelonas, die sie als 'Niemandsland', als 'ungeplante Strukturen' bezeichnet hat - und auch die Fotoserie 'Electro-doméstica', entstanden zwischen 2003 und 2004 in einem Fernsehstudio in Barcelona, verweist auf ein soziales Gefälle. Zu sehen ist ein Hausmädchen, eine, wie Ribero sagt, sehr typische Figur einer südamerikanischen Telenovela. Wie etwa auch die argentinische Fotografin und Videokünstlerin Ana Axpe bedient sich Laura Ribero hier des Vorbilds jener in Lateinamerika ungemein populären Seifenopern, jener Endlos-Serien, die tagtäglich ein Millionenpublikum erreichen. Wir sehen eine Parodie jenes südamerikanischen Gegenstücks unserer Vorabendserien - und es ist die Künstlerin selbst, die in die Rolle des Hausmädchens geschlüpft ist.

#16 aus 'Looking for Wonderland' (series of 19 photos), 2004/05, Essen-Katernberg, 60 x 60 cm (text from 'Alice in Wonderland', Lewis Carroll)

Auf den ersten Blick wirken die mit Selbstauslöser entstandenen Arbeiten friedlich. Eine junge Frau ist dabei, die Arbeit in einem gutbürgerlichen Haushalt zu verrichten. Ganz offensichtlich hat sich Ribero nicht darum bemüht, die Tatsache, dass wir es hier mit einem ironischen Rollenspiel, mit der Strategie des fake, mit einer Sherman'schen Maskerade zu tun haben, zu vertuschen. Hier und da ragt die Studio-Beleuchtung ins Bild - und auch die Kulissenhaftigkeit des Mobiliars gibt zu denken. Was will die Künstlerin uns damit sagen? Ist das gutbürgerliche Leben, seine Ruhe und Ordnung, selbst nur eine Konstruktion, ein Potemkinsches Dorf?
Die künstlerische Strategie der Täuschung ist nicht Riberos Erfindung. Gerade die Fotokunst der neunziger Jahre interessierte sich maßgeblich für die Aspekte fotografischer Maskerade - mehr jedenfalls als für fragwürdig gewordene Authentizität, wie das Künstlerpaar Aziz & Cucher einmal formulierte: Die Simulation, so Anthony Aziz und Sammy Cucher, ist 'die einzige Wahrheit, auf die wir uns verlassen können.'
Der Anti-Illusionismus der Serie Laura Riberos - die zu Recht mit der Fotoserie 'Set Constructions' der Stockholmer Künstlerin Miriam Bäckström verglichen wurde, die allerdings leere Filmkulissen zeigt - trägt mehr als nur Spuren dieser Strategie in sich: Die Serie hat etwas Bloßlegendes, erzählt von den Enttäuschungen des Hausmädchens, von ihrer Melancholie, aber auch von den Wunden, die ein Arbeitstag hinterlassen mag, von den Wunden, aus denen vielleicht Narben werden. Von der bitteren Erkenntnis: Wenn es so weitergeht, dann wird nichts mehr aus mir. Von dem Wunsch nach einem anderen Leben.
Laura Ribero. Looking for Wonderland II
#14 aus 'Looking for Wonderland' (series of 19 photos), 2004/05, Essen-Katernberg, 60 x 60 cm (text from 'Alice in Wonderland', Lewis Carroll)

Wenn sich das Bild des Hausmädchens im Küchen-Mobiliar spiegelt, dann wird auch das Bild der Dargestellten selbst in Frage gestellt: eine Person zwischen Identität und ihrer offensichtlich konstruierten Repräsentation - womöglich eine typische Laura Ribero-Figur, die womöglich auch autobiografisch geprägt ist. In Interviews hat Ribero geäußert, dass sie ein nomadisches Leben, ein Leben in der Ortlosigkeit, eines, das Identität nicht findet, sondern sucht, für ein gangbares Lebensmodell hält.
Ganz anders dagegen die sechsteilige Serie 'Alma' aus dem Jahr 2005, die eine scheinbar schwebende Frauenfigur vor weißem Hintergrund zeigt. Eine digital manipulierte, poetische Bewegungsstudie, die - verglichen mit den früheren Arbeiten - einen neuen Weg vom Öffentlichen zum Intimen beschreitet. Armstrong betrat den Mond zuerst mit seinem linken Fuß. Wohin Laura Riberos Weg führen mag, Schritt für Schritt, wie es weitergeht mit ihrer Kunst, das wird die Zukunft zeigen. Jetzt ist eine Ausstellung mit ihren Arbeiten in der Essener Galerie Schütte zu sehen. Hierzu erscheint ein Katalog mit Texten von Andreas Dunkel und Jaime Cerón in Deutsch, Englisch und Spanisch. Außerdem ein Interview von Dr. Gabriele Schor, Leiterin der Sammlung VERBUND, mit Laura Ribero. Im Katalog werden die Fotoarbeiten 'Electro-doméstica', 'Looking for Wonderland', 'catch-tales', 'Arriving' und neue Fotoarbeiten abgebildet.