Galerie Hubert Winter

Alkohol Oasen
Helmut Eisendle — Eröffnungsrede für Franz Vana: 'Alkohol Oasen' - Schloss Gamlitz. 2003

Woher nimmt die Zivilsation die Kunst, was bewirkt sie, wäre sie ohne Kultur tatsächlich oder nur ein ökonomisch gesichertes Weiterleben?

Eine Frage, die man nicht versteht, verstehen kann und auf die man bestenfalls antworten kann: wenn es unsere Kultur nicht gäbe, gäbe es eine andere. Kunst ist eine Gebärde, der Name einer Wirkung.
Oder Künste sind ein Diebstahl an der Wirklichkeit und damit ein eigentümlicher Erwerb eines Besitzes.
Oder Kunst ist der Efeu an der Fassade des Lebens,
Oder Kunst ist eine höhere form der Kritik am wirklichen.
Oder Kunst ist die stille Souffleuse der Phantasie.
Oder Kunst ist Vervollkommnung von surrogaten.
Oder Kunst ist eine Idee von Wirklichkeit.
Wenn ich zum Beispiel frage: Woher nimmt die Zivilisation die Kunst, kümmert mich dabei die Zivilisation, ob sie ohne sie auskäme? Es liegt mir völlig ferne, das Schicksal einer kulturlosen Zivilisation zu überleben. Mich kümmert die Kunst. Gar nichts sonst. Denn mehr oder weniger zählen für mich nur die Künstler. Mit wem kann ich noch Gespräche führen in der weiten Welt über eine neue Welt?
Man vergisst oft, dass die Kunst nur im Malen,Schreiben, Komponieren existiert: Kunst ist eine Handlung; sie ist jene Handlung, die darauf abzielt, die Empfindlichkeit des Menschen zu erregen und zu verändern und daraus solche Entwicklungen entstehen zu lassen, die man sich endlos wünscht. So bilden sich mehr oder weniger intensive Bedürfnisse heraus, die sich jedoch erheblich von jenen unterscheiden, die uns zu Sklaven der Ansprüche unseres Lebens machen. Sie zeigen an- gewissermaßen zeichnen und ermöglichen sie in uns ein Wesen, das aus Rhythmen, Kontasten, Symmetrien und Ähnlichkeiten lebt, diese aus sich selbst einklagt und empfängt.
Wenn Kunst also Handeln ist, so ist indirekt damit gesagt, dass ein Kunstwerk in sich nur eine Handlungsform ist.
Wer ist der Mensch der Kultur, wenn nicht der, der durch Erfahrung den Instinkt bewusst gemacht hat und der sich durch Abwägen und Ausüben zum Herrn der Geheimnisse macht, und jenen Sinn unabhängiger Neugierde entwickelt, der die wahren Wurzeln des geistigen Lebens ist.
Früher meinte man von den Göttern folgendes; entweder sie sinnen über ihre eigene Vollkommenheit nach, oder sie wachen mit kühlen Augen des Zuschauers über das Tragikkomische der Welt. Auch die Künstler können leben wie sie und mit wechselnden Gefühlen das betrachten, was die Natur und die Menschen bieten.
Das Ziel der Kunst ist es, Stimmungen zu schaffen.
Das Kunstwerk besitzt also nur eine virtuelle Existenz. Es ist ein Scheck, der durch das Talent des Künstlers gedeckt ist, sagt Paul Valery.
Von der Natur und von seinen Erfahrungen in Tansania her beeinflusst, hat Franz Vana einen völlig neuen Weg eingeschlagen. Er hat damit begonnen, das Leben zu betrachten, und hat sich erst danach den Kopf zerbrochen, um sich Mittel anzueignen, das Leben auszudrücken. Das Resultat ist eine packende Originalität, bei welcher das, was vom Naiven haften geblieben sein mag, als ein Beweis dem eindruck gegenüber als eine Arbeit erscheint. Die meisten von uns- vor allem die voll beschäftigten Menschen, in deren Augen die Natur und die Kultur anderer Völker nur insoweit existieren als sie zu ihren Tätigkeiten in einer Nützlichkeitsbeziehung trten- sind der Phantasie gegenüber merkwürdig abgestumpft. Die Phantasie nimmt Vana unablässig in sich auf; sein Gedächtnis und seine Augen sind davon erfüllt.
In seinen collagen, Abstaktionen, die als vereinfachte Formen einen stark geometrischen charakter haben, seinen Bricolagen und Wort-Bildmontagen versucht Vana sich zwar selbst zu entfernen, etwas, das er selbst Narkotisieren nennt, schafft aber gerade damit eine originelle Kunst, die nur ihm eigen erscheint.
Der Begriff Bricolage hängt- anders als Planung und Vorgehen- von einem vorhandenen Lager an Ressourcen oder Erfahrungen ab. Aus diesem reservoir schöpft Vana seine Vielseitigkeit, seine wandlungsfähigkeit, die es ihm möglich macht, die bildende Kunst in immer wieder neue Nischen zu setzen.
Der Geist eines Künstlers ist vielleicht das Material oder die Möglichkeit, die er ihnen gibt.
Wie überhaupt, gibt es keine Abstaktionen, es gibt nur gewohnheitsmäßige Auslassungen, sagt Denis Diderot.
Jedes Adjektiv, welches man der Kunst beifügt, ist entweder überflüssig oder aber eine Aufhebung oder Leugnung derselben. Genau genommen gibt es weder eine moderne, klassische, religiöse noch weltliche, surreale oder realistische, wilde oder brave, abstrakte oder geegnständliche Kunst. Der Gegensatz im ästhteischen Bereich heißt: Kunst oder keine Kunst. Unter abstrakter Kunst versteht man imallgemeinen Bilder oder Skulpturen, die im Katalog entweder ohne Titel heißen mit Zahlen bezeichnet sind oder opus 1,2,3 oder das Datum tragen.
Unter gegenständlicher Kunst in der Malerei versteht man Bilder mit dem Titel: Dame in Blau, Still-Leben, Landschaft oder Bildnis von Anne Frank.
Vanas Bilder heißen beispielsweise: Boot mit sechs Hörnern, Nerzaugen, Dornenmilch, Lachslächeln, Normvirus, Testwalk.
Alle Kunst wie auch seine strebt danach, sich selbst zum Gegenstand zu machen. Auch ein gegenständliches Objekt stellt nur sich selbst dar. Der eigentliche Gegenstand, das Subjekt jeder Skulptur, jedes Bild liegt im Unbenennbaren. Der Gegenstand muss vom Betrachter geliefert werden, wie das Subjekt der Musik vom Hörer auch. Die Trennung zwischen einem Kunstwerk und einer gegenständlichen Abbildung liegt- wenn überhaupt- in der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, eine Beziehung zwischen Subjekt und dem Betrachter herzustellen.
Beide, das abstrahierte Kunstwerk und das gegenständliche, provozieren den Betrachter zu einem psychischen und physiologischen Echo.
Paradoxerweise lässt die abstrakte Kunst das subjekt um des reineren Subjekts willen verschwinden. Sie fasst die Beziehung zwischen Betrachter und Gegenstand enger; vor allem: sie eliminiert jedes Schielen auf eine Wirklichkeit.
Durch Vanas Bilder wird im Betrachter etwas angesprochen, was tiefer und älter in ihm sitzt als Zeichen und Bedeutung. Auch das Gedicht und der Roman leben nicht von dem, was das Workt sagt, sondern von dem, was der Leser aus ihm macht.
Die Wirkung auf den Betrachter hat weder mit Formen, noch mit den Farben Grün, Rot, Gelb oder Blau zu tun. Man benötigt im Betrachten seiner Bilder einen Schlüssel und die Türen und Räume, die dieser Schlüssel öffnet, sind Türen und Räume in das Innere des Betrachters.
Ein Schlüssel klemmt nicht darum, weil es ihm an Gefühl mangelt, sondern weil an einer bestimmten Stelle der Bart nicht richtig gezackt ist.