Galerie Hubert Winter

Marcia Hafif
29. März – 6. Mai 2023
Dann ging ich in das Haus zurück und schrieb „Es ist Mitternacht. Der Regen peitscht gegen die Scheiben.“ Es war nicht Mitternacht. Es regnete nicht.
Die letzten Zeilen. In: Samuel Beckett, Molloy. Roman. Dt. v. E. Franzen. Frankfurt/Main, Suhrkamp, 1954

Wir haben also eine Eigenschaft aufgezeigt, die der Fläche immer zugehört. Nun haben wir über die zweite
Eigenschaft zu sprechen,
die sozusagen wie eine Haut den ganzen Rücken der Fläche bedeckt.
—Leon Battista Alberti, Della Pittura – Über die Malkunst, I.4


Die Galerie Hubert Winter freut sich eine Ausstellung zu präsentieren, die sich spezifisch Arbeiten Marcia Hafifs aus der Serie Acrylic Paintings aus dem Jahr 1972 widmet. Die Arbeiten sind damit zum ersten Mal seit ihrer letzten Präsentation Mitte der 1970er Jahre in der Galerie von Ileana Sonnabend in New York wieder zu sehen.

Marcia Hafifs Umzug von Rom nach New York im Jahr 1971 bedeutete auch das Ende ihrer damaligen Arbeitsweise. Werke aus den Jahren 1961–1969, die als Italian Paintings zusammengefasst sind, zeichnen sich durch bilateral symmetrische, leuchtend farbige Formen aus. Zwei dieser Werke – Nr. 52 und 56 – sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen, um den Bruch im Werk zu den späteren Arbeiten zu verdeutlichen.

Am 1. Januar 1972 unternahm ich diesen Schritt und verzichtete auf das Nebeneinanderstellen von Farben, um ein Gemälde zu schaffen, das die Methoden und Materialien der traditionellen Malerei verwendet, aber kein Gemälde im üblichen Sinne ist. Auf diese Weise hoffte ich, ein neues Bild und eine neue Bedeutung für die Malerei zu finden. Es war eine Situation, in der ich am Ende der Malerei angelangt war und doch mit der Notwendigkeit eines Neubeginns konfrontiert wurde.[1]

An diesem Neubeginn ihrer Malerei stehen allerdings Zeichnungen – die Serie Pencil on Paper – kurze vertikale Markierungen, beginnend links oben, diagonal nach unten arbeitend, um rechts unten zu enden, das waren die Kriterien des Prozesses, dessen Wiederholung in mannigfaltigen Variationen von Mustern resultierte. Diese Zeichnungen markierten den Beginn des sogenannten Inventory – Marcia Hafifs fünf Dekaden umspannenden, über 20 Serien umfassenden, systematischen Erforschung und Dekonstruktion malerischer Praxis.

Die Acrylic Paintings[2] stellen chronologisch die zweite Serie des Inventorys dar und Marcia Hafif wendete sich damit erstmals, nach der Zäsur im Werk[3], wieder der Malerei zu. Acrylfarbe auf Leinwand – da sie diese in dem Moment zu Verfügung hatte, wie sie selbst sagte[4] – aufgetragen in vertikalen Strichen, in derselben Prozedur wie bei den Zeichnungen. Vierzehn Farben wurden ausgewählt, um eine Standardpalette zu repräsentieren, in der aktuellen Ausstellung sind davon zu sehen: Ultramarine Blue, Cadmium Yellow Medium, Cadmium Orange, Bocour Green, Venetian Red und Raw Sienna. Jede Farbe wurde in vertikalen Strichen aufgetragen, die die gesamte Vorderseite bedecken. Mit Ausnahme eines Randes an den Kanten – ein Alleinstellungsmerkmal dieser Serie im ganzen Werk Marcia Hafifs. Die nackte Leinwand, die diese Arbeiten offenbaren, zeigt uns bereits, dass das Werk nicht ursprünglich monochromer Malerei entspricht, sondern dass dies vielmehr eine Konsequenz ihres Ansatzes ist. Material, Auftrag, Bildträger, Format und Installation ergeben eine Ästhetik oder eine innere Ethik. Dadurch manifestiert sich eine inhärente Logik, aus welcher notwendigerweise eine Reihe von Werten entspringen, die mit dem jeweiligen Material verbunden sind. Anstatt das Material zu verändern, um es den eigenen Bedürfnissen anzupassen, wird es weitgehend unverändert belassen, und die Kunst wird aus ihm geschöpft. Die Künstlerin arbeitet innerhalb der (gewählten) Gegebenheiten der Materialien.

Ich spürte, dass ich eine Malerin war und dass die Malerei immer noch das war, was ich machen wollte. (Marcia Hafif)


[1] Marcia Hafif, Why Paint, 1989. (URL: https://www.marciahafif.com/whypaint.html; letzter Zugriff: 17. März 2023)

[2] Die Serie Acrylic Paintings ist nicht zu verwechseln mit der um 1994 entstandenen Serie der Acrylic Glaze Paintings.

[3] Eine lesenswerte Lektüre zu diesem Umbruch im Werk, stellt Marcia Hafifs 1978 publizierter Artikel Beginning Again dar. Sie begann den Artikel ab ca. 1973 zu verfassen und er begleitete damit eigenltich den Beginn des Inventories, wurde jedoch erst 1978 im Artforum publiziert (URL: http://www.marciahafif.com/beginning.html; letzer Zugriff 17.März 2023)

[4] Marcia Hafif, Inventory Paintings. (URL: http://www.marciahafif.com/inventory/ap.html;letzter Zugriff: 17. März 2023)