Galerie Hubert Winter

Lei Xue
18. November – 23. Dezember 2009
... daher musst du sicher sein, deiner Sache sicher sein, wenn du es nicht bist, bleibt die Lösung 4
die des wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass wie du sie nennst.
Herbst 2002
Die letzten Zeilen. In: Jonathan Littell, Ein Sonntag im Sommer. Dt. v. H. Kober, Berlin, Matthes & Seitz, 2009

Zwischen Ming und Coca-Cola

Der beste Weg, um zur Wesenheit des Verstandes zu gelangen, ist gleichzeitig Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu beobachten. Um zur Zukunft, die ungewiss ist, zu gelangen, bedeutet das, die klare Vergangenheit und die noch nicht so klare Gegenwart zu analysieren. Im Laufe der Zeit ist mein Herz mit der sich ergebenden diskrepanten Einheit ausgestattet. Auf meinem aktuellen Kunstweg gewöhne ich mich daran, im Sinne der mir gut bekannten chinesischen Poesie und der Zenbewegung zu denken und zu handeln. Für mich ist Poesie mein künstlerisches Denksystem, während Zen ein Aufmass meiner eigenen Arbeitstiefen und Ausdruckfähigkeiten ist.
Poesie und Zen dringen wie ein Weg in die Gedanken ein, so wie die Chinesen das Universum wahrnehmen. Die Bewusstheit von Poesie perforiert jahrtausendalte chinesische Kulturgeschichte. In der chinesischen Vergangenheit ist das Aufmass persönlicher Fähigkeiten mit dem Ausmaß zur Wahrnehmung und Beherrschung der Poesie verbunden. Ein guter Dichter konnte Beamter werden. Was ist Poesie? "Wundersame Gegend am Morgen, schroff fallen Felsen zu Tal, Nebel ziert den tiefen Grund. Einsame Kiefern klammern sich an urigem Felsgestein. Sacht nur weht der Wind und lieblich singt der Pirol." Jedes Wort ist sehr real und einfach, aber aus der Zusammenstellung dieser realen Bilder entsteht eine unausdrückbare künstliche Konzeption. In der modernen Kunst, bringen die guten Künstler mit ihren Arbeiten die Betrachter mit einfachen Gebilden und Materialien in sprachlose Bereiche und Atmosphäre. Überall gibt es reale Gebilde mit einheitlicher Atmosphäre. In der Technik ist die Suche nach einem passenden Wort für Poesie wie die Auswahl eines künstlich geschaffenen Gebildes. Diese Systeme lassen sich in meiner eigenen künstlerischen Arbeit in poetischer Weise zum Denken nutzen, um eigene Gedanken mit einfachen Formen auszudrücken und das Gedankengut in eine poetisch sprachlose Atomsphäre zu bringen.
Außerdem bedeutet Zen für mich so etwas wie fantastisch. Es ist eine ortsgebundene Philosophie, nachdem der Buddhismus in China heimisch wurde. Die menschlich-immanente Denkweise wird aufgehoben zugunsten des weiter reichenden und unabhängigeren Denkens der Philosophie, um durch die Oberfläche hindurch die Wesenheit zu erkennen. Es ist ähnlich wie bei Arthur Schopenhauer, der sagt, dass "der Verstand größer als die Vernunft" ist. Es ist mein Maßstab für meine eigene Arbeitstiefe in meinem künstlerischen Denken. Es gibt keine gute künstlerische Arbeit, die nicht durch die Oberfläche hindurch in die Wesenheit und mit ihr in die künstlerische Denkenstiefe eindringt. Durch dieses Eindringen entsteht für mich eine Wiedererscheinung in einfachen künstlichen Formen und Gebilden. So lässt mich Zen an der Erkenntnis des Wesentlichen profitieren. Ein einfaches Beispiel für den Zengedanken ist Welle, Fluss und Meer. Sie sind nur die Wahrnehmung, Wasser ist ihre eigentliche Wesenheit. "Die Erschütterungsfähigkeit einer guten künstlerischen Arbeit ist mit einfachen Gebilden zum sprachlosen tiefen Verstand geworden". So nennen jedenfalls die Chinesen Zen.


Lei Xue (geb.1974 in Quigdao, China) über seine Arbeit.

Der elfte Monat oder der "Weisse Monat"

In Peking gilt der erste "Weiße Tag" dem "Verstopfen der Fenster", und in jedem Haus werden alle Ritzen mit derbem Papier fest verschlossen, damit man Zugluft abwehre, denn auf Lüftung - in chinesischen Augen immer gefährlich - verzichtet man in der kalten Jahreszeit gänzlich. Unter der Monarchie legten die Beamten, die das Recht hatten, Marderfelle zu tragen, sie an diesem Tag an. Die Regelung solcher Details beweist, wie sehr das Verhalten der Einzelperson in der chinesischen Gesellschaft in früherer Zeit durch den Druck der öffentlichen Meinung bestimmt war. Politisch freier als wir in alten Zeiten, waren die Söhne Hans in gesellschaftlicher Hinsicht weit weniger. Für Individualisten und Sonderlinge gab es kein Feld dort, wo ein ungewohntes Betragen als abweichend von der Sitte mit scheelen Augen betrachtet wurde, und es war ein allgemein gültiger Satz, daß "das Streben nach Individualisierung unter den durchschnittlichen Menschen nicht zu wertvollen Ergebnissen führen kann...und daß die Tradition immer klüger ist als das durchschnittliche Individuum"...Am fünfzehnten Tag des elften Monats sagen die Leute: "Der Mond ist über unseren Köpfen". In dieser einzigen Nacht des ganzen Jahres ist "der Schatten einer Pagode nicht spitz und der Schatten eines Menschen wird sehr, sehr klein":

Aus: Juliet Bredon und Igor Mitrophanow, Das Mondjahr. Chinesische Sitten, Bräuche und Feste. Wien, Zsolnay, 1937.